Wir sind alle noch hier. Tagebuch – Mittwoch, 26. Juni - Sezession im Netz (2024)

Ich bin also eine Art Trans-Kul­tu­rel­ler. Inso­fern mag es ein Leich­tes sein, die fol­gen­den Beob­ach­tun­gen mei­nem frei­wil­lig-unfrei­wil­lig selbst-abge­häng­ten und krank­haft über­emp­find­li­chen Cha­rak­ter zuzuschreiben.

Ein wesent­li­cher Teil mei­nes kul­tur­dys­pho­ri­schen Lei­dens (der Begriff kommt aus dem Grie­chi­schen δύσφορος = schwer zu tra­gen­des Leid) nährt sich vom täg­li­chen Anblick der Smart­phoni­sie­rung der mensch­li­chen Spe­zi­es, ein erschre­cken­der Pro­zeß anthro­po­lo­gi­scher Ver­krüp­pe­lung und Dege­ne­ra­ti­on, der Tag für Tag uner­bitt­lich und ohne jeg­li­chen Gegen­wind voranschreitet.

Dar­über woll­te ich schon seit über einem Jahr (genau­er gesagt, seit dem Tod Ted Kac­zynskis) einen län­ge­ren Arti­kel schrei­ben, aber ich schie­be ihn stän­dig hin­aus, aus purer, fei­ger Schmerzvermeidung.

Beson­ders beun­ru­hi­gend fin­de ich den Gleich­schal­tungs­ef­fekt die­ser neu­en uni­ver­sel­len Grund­aus­stat­tung, die so unent­behr­lich und selbst­ver­ständ­lich gewor­den ist wie Schu­he, Hem­den oderHosen.

Buch­stäb­lich jeder Mensch, dem man auf der Stra­ße begeg­net, führt sicht­bar ein Smart­phone (oder ipho­ne, ist ja g’hupft wie g’sprungen) mit sich, meis­tens in die Hand­flä­che geklebt, ent­we­der in Bereit­schafts­hal­tung oder in Akti­on, indem er tele­fo­niert, mit einem trance­ar­ti­gen Blick auf den Bild­schirm starrt oder über des­sen Ober­flä­che mit den Fin­gern tip­pelt oder wischt, ohne Pau­se, beim Ste­hen, Gehen und Sit­zen, beim Kin­der­wa­gen­füh­ren und Gas­si­ge­hen mit dem Hund, beim Jog­gen, Rad­fah­ren, Ein­kau­fen, Essen oder Kuscheln mit der bes­se­ren Hälfte.

Erspäht man end­lich ein­mal jeman­den “ohne”, kann man sich in der Regel das Auf­at­men spa­ren, denn man muß nur ein paar Sekun­den war­ten, bis sei­ne oder ihre Fin­ger wie von selbst, bei­na­he unbe­wußt, in die Hosen- oder Hand­ta­sche wan­dern und das klei­ne teuf­li­sche Ding her­vor­grif­feln oder mit ihm unent­schlos­sen Raus-Rein spie­len. Bei ande­ren wie­der­um ver­rät ein wei­ßer Stöp­sel im Ohr, daß das Gehirn gera­de elek­tro­nisch geflu­tetwird.

Das sind für mich noch die erträg­lichs­ten Exem­pla­re. Schlim­mer emp­fin­de ich die­je­ni­gen, die mich in der voll­ge­stopf­ten U‑Bahn umzin­geln und dabei stän­dig wischen, tip­pen, scrol­len, glot­zen, labern oder zischen­de und kräch­zen­de Sound­bytes abspie­len. Soweit es mich betrifft, könn­ten sie genau so gut unge­niert vor sich hinona­nie­ren, so pein­lich ist es mir. Um die Wahr­heit zu sagen, wäre es mir fast schon lie­ber, wenn sie statt­des­sen ona­nie­ren würden.

Der Ein­druck, der sich mir auf­drängt, ist der­je­ni­ge einer pawlow’schen Kon­di­tio­nie­rung und sozia­len Dres­sur, zu der auch ein ziem­lich mani­fes­tes Sucht­ver­hal­ten gehört. Man kann es deut­lich sehen in den dopa­min­trun­ke­nen, tran­qui­li­sier­ten Gesich­tern (“wie Hin­du­kü­he”, heißt es in Fight Club) und den ner­vö­sen her­um­hu­schen­den, her­um­tas­ten­den Hän­den und Fin­gern, die fast schon eigen­stän­dig agie­ren und das Gerät wie von selbst zücken, weg­ste­cken, wie­der zücken, drauf gucken, wie­der weg­ste­cken, oder sonst­wie befin­gern, befum­meln und bewischen.

Das sind gar klar gehack­te oder zumin­dest hack­ba­re Gehir­ne, Men­schen, die süch­tig und damit schwach und abhän­gig, steu­er- und kon­trol­lier­bar gewor­densind.

Des wei­te­ren frap­piert die all­um­fas­sen­de “Mas­sen­de­mo­kra­tie” des Smart­phone-Besit­zes, da an die­sem Ver­hal­ten lücken­los alle, wirk­lich alle teil­ha­ben und mit­ma­chen, egal wel­chen Geschlechts, wel­cher Ras­se, wel­cher Alters­klas­se, wel­cher sozia­ler Schicht, wel­cher Reli­gi­on und wel­chem Volk sie ange­hö­ren. Die­se tota­le Teil­nah­me und Ein­fü­gung erin­nert mich ein wenig an die Mas­ken­ge­sich­ter wäh­rend der “Pan­de­mie”, deren Anblick gewiß ungleich bedrü­cken­der war, die aber, so emp­fin­de ich es, eine ähn­li­che Schwä­che, Gleich­schal­tung und Kon­for­mi­tät signalisierten.

Beson­ders beklem­mend fin­de ich es, wenn schon klei­ne Kin­der auf die­sen Din­gern kle­ben wie Rosen­kä­fer auf Flie­der­blü­ten. Manch­mal sieht man auch Erwach­se­ne, die Säug­lin­gen und Klein­kin­dern im Kin­der­wa­gen ein Smart­phone in die Hand drü­cken, um sie ruhig zu stel­len und zu beschäf­ti­gen. Ande­re wie­der­um gehen mit “gutem” Bei­spiel vor­an, indem sie sich durch ihre Social Media wischen, statt den Kin­dern Auf­merk­sam­keit zu schenken.

Für mich ist das alles noch eine dys­to­pi­sche, sur­rea­le “Neue Nor­ma­li­tät”, nun aber wach­sen vor mei­nen Augen Gene­ra­tio­nen her­an, für die es selbst­ver­ständ­lich ist, daß man an jedem Ort und zu jeder Zeit und Gele­gen­heit mit dem Inter­net ver­bun­den ist, daß man den Mini­com­pu­ter immer mit sich trägt, als wäre er ein Kör­per­teil, daß man kein Gespräch füh­ren kann, ohne etwas zu gugeln oder dem ande­ren etwas vor­zu­spie­len oder auf dem Dis­play zu “zei­gen”.

Frei nach Eric Blair: Wenn Sie ein Bild von der Zukunft haben wol­len, so stel­len Sie sich ein Smart­phone vor, das einem unauf­hör­lich vor’s Gesicht gehal­ten wird. Ich ver­su­che mich inner­lich durch eine Art mor­ti­fi­ca­tio men­tis mit dem Gedan­ken abzu­fin­den, daß das nun für den Rest mei­nes Lebens so blei­ben (oder sogar schlim­mer kom­men)wird.

Nicht sel­ten (soll man mich halt gei­ßeln für mei­ne Mis­an­thro­pie und Men­schen­ver­ach­tung) sieht man golem­ar­ti­ge, vom Demi­ur­gen ver­pfusch­te Gestal­ten, an denen das Smar­tes­te die klei­ne, kom­ple­xe und doch so ein­fach zu bedie­nen­de Wun­der­ma­schi­neist.

Vor ein paar Tagen sah ich eine Grup­pe von Men­schen mit Down-Syn­drom auf einem Bahn­steig, alle­samt den Blick mit offe­nem Mund auf den schwar­zen Spie­gel in ihrer Hand­flä­che gerich­tet (nicht anders als jeder ande­re, der dort stand oder saß). Ich sage ehr­lich, daß ich bei die­sem Anblick erschrak. Es wirk­te wie eine Sze­ne aus einem Film von David Lynch oder Wer­ner Her­zog (oder Tod Brow­ning, falls den noch jemand kennt).

Wie gesagt: Man muß nicht auf mich hören oder mich ernst­neh­men, da ich ja bloß ein neu­ro­ti­scher Son­der­ling und Abseits­ste­her bin, dem es schwer­fällt, sich ins Unver­meid­li­che und Unauf­heb­ba­re zu fügen und “mit der Zeit zugehen”.

In der Wie­ner Innen­stadt sah ich zwei Smart­phone­zom­bies (wie ich sie lie­be­voll nen­ne; sie sind in der Regel das ers­te, was ich auf der Stra­ße vor mei­nem Haus­ein­gang vor­bei­schlür­fen sehe, wenn ich mei­ne Woh­nung ver­las­se) aus ent­ge­gen­ge­setz­ten Rich­tun­gen auf­ein­an­der zuschrei­ten: Ein täto­wier­ter, stop­pel­bär­ti­ger Kurz­haa­ri­ger mit einem Plat­ten­co­ver von May­hem (die berüch­tig­te Debüt-EP „Death Crush“ von 1987) als T‑Shirt-Motiv, ein ande­rer, Typ Bobo-Hips­ter mit halb­lan­gen blon­den Haa­ren, mit einem Ed-Sheeran-Shirt (Sheeran ist soet­was wie der Elvis der algo­rith­men-opti­mier­ten NPC-Musik für Fit­ness­stu­di­os, Fahr­stüh­le und Bürodrohnen).

Bei­de, etwa gleich­alt (um die drei­ßig), hat­ten, wie heu­te üblich, den rech­ten Arm recht­win­ke­lig abge­bo­gen, und hiel­ten den Kopf gesenkt, den Blick auf den Bild­schirm im Hand­tel­ler fixiert. Bei­de hat­ten Stöp­sel im Ohr, der eine hör­te viel­leicht „Chain­saw Guts­f*ck“ (Zugrif­fe auf You­tube: 3,2 Mill­lio­nen) der ande­re viel­leicht „Shape of You“ (Zugrif­fe auf You­tube: 6 Mil­li­ar­den, 282 Mil­lio­nen, 389,597). Ihre Kör­per­hal­tung und ihr Gesichts­aus­druck waren iden­tisch, gleich­sam syn­chro­ni­siert. Sie waren habi­tu­el­le Zwil­lin­ge, trotz ihres extrem kon­trä­ren Musik­ge­schmacks. Ohne auf­zu­bli­cken und den ande­ren zu beach­ten, gin­gen sie anein­an­der vorbei.

Die bei­den spuk­ten in mei­nem Kopf her­um, als mich die Redak­ti­on des Maga­zins frei­lich bat, für die nächs­te Aus­ga­be einen Text über den aktu­el­len Stand der Pop­kul­tur zu schreiben.

Ich sag­te zu, obwohl ich zu die­sem Bereich seit der Jahr­tau­send­wen­de nicht mehr viel Füh­lung habe. Ich ken­ne zwar Namen wie Brit­ney Spears, Jus­tin Tim­ber­bie­ber, Miley Cyrus, Bey­on­cé, Emi­nem, Lana del Rey, Rihan­na, Lady Gaga, Tay­lor Swift (letz­te­re haupt­säch­lich durch trol­li­ge Alt­right-Memes aus der Trump-Blü­te­zeit, die ihr Zita­te von A. Hit­ler in den Mund leg­ten, des wei­te­ren über die Ver­schwö­rungs­theo­rie, sie sei ein Klon von Zee­na Schreck-LaVey von Radio Werewolf).

Gleich­zei­tig habe ich, mit Aus­nah­me von Emi­nem, der noch aus den neun­zi­ger Jah­ren stammt, kein ein­zi­ges Lied der Genann­ten im Ohr. Kein einziges.

Na gut, das war jetzt ein biß­chen Ange­be­rei. Ich ken­ne zumin­dest “Wre­cking Ball”, aber auch nur des­we­gen, weil Death in Rome es “iro­nisch” geco­vert haben.

Ich habe mir auch ein paar Nicki-Mina­j‑, Miley-Cyrus‑, Tay­lor-Swift- und Céli­ne-Dion-Vide­os ange­se­hen, aus Stu­di­en­zwe­cken, ob die tat­säch­lich vol­ler okkul­ter MK-Ultra-Gedan­ken­kon­trol­le-Sym­bo­le sind, wie man­che Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­ker behaup­ten. Die Vide­os fand ich alle­samt gräß­lich, die Lie­der eben­falls, und kein ein­zi­ges hat sich in mich eingewurmt.

Abge­se­hen von mei­nem sub­jek­ti­ven, per­sön­li­chen, mino­ri­tä­ren Geschmack (trotz des bizar­ren, gigan­tes­ken Hyper-Hypes fin­de ich, daß Tay­lor Swift Bon­nie Tyler oder der ungleich see­len­vol­le­ren Kim Wil­de nicht das Was­ser rei­chen kann, sogar Jen­ni­fer Rush war viel bes­ser, erst recht natür­lich Madon­na in ihren bes­ten Jah­ren), ist es unbe­streit­bar, daß die Pop­kul­tur etwa seit Beginn die­ses Jahr­hun­derts ihre frü­he­re Kraft als Zeit­si­gna­tur und die Mas­sen ver­bin­den­des Kol­lek­tiv­erleb­nis ver­lo­ren hat. Wahr­schein­lich waren die neun­zi­ger Jah­re das letz­te Jahr­zehnt, das einen spe­zi­fi­schen audio­vi­su­el­len Zeit­stil (oder Clus­ter von Sti­len) her­vor­ge­bracht hat.

Heu­te herrscht eine Art „post­mo­der­nes“, zeit- und ort­lo­ses Hyper- und Meta-Epi­go­nen­tum vor, in dem alles und jedes aus dem gro­ßen Pool der Ver­gan­gen­heit immer wie­der neu kom­bi­niert, vari­iert, re-mixed, mas­hed-up, gesam­pelt und recy­celt wird (was auch im Kino­an­ge­bot zu beob­ach­ten ist, in dem Sequels, Fran­chi­ses und Remakes einen brei­ten, wenn nicht domi­nan­ten Raum ein­neh­men). Any­thing goes, und was dabei her­aus­kommt, kann gewiß auch gut, gele­gent­lich her­vor­ra­gendsein.

In den acht­zi­ger und neun­zi­ger Jah­ren, die ich als Kind und Jugend­li­cher mit­er­lebt habe, war es prak­tisch unmög­lich, den ange­sag­ten Plat­ten, Kino­fil­men und Fern­seh­se­ri­en zu ent­kom­men, wie sie im Rund­funk und den Medi­en gespielt und bewor­ben wur­den. Mir ist es nicht gelun­gen, obwohl ich schon früh in die sub­kul­tu­rel­len Kel­ler und Sei­ten­stra­ßen abge­taucht bin. Jeder kann­te die Hit­pa­ra­den-Hits, jeder erin­ner­te sich dar­an, ob frei­wil­lig oder unfrei­wil­lig, ob Fan oder Has­ser. Alle schau­ten die­sel­ben Seri­en, und wer das nicht konn­te, war im Kin­der­gar­ten und der Schu­le sozi­al stark benachteiligt.

Daß man heu­te (immer­hin, und glück­li­cher­wei­se) Jah­re ver­brin­gen kann, ohne sich ein ein­zi­ges Lied von Ed Sheeran oder Tay­lor Swift anhö­ren zu müs­sen, hat mit der durch das Inter­net ver­än­der­ten Art des Medi­en­kon­sums zutun.

Man betrach­te etwa die off­zi­el­len Zah­len der Recor­ding Indus­try Asso­cia­ti­on of Ame­ri­ca (RIAA) für das Jahr 2023: Der Groß­teil der Ein­künf­te im Musik­ge­schäft (Jah­res­um­satz 17,1 Mil­li­ar­den Dol­lar) läuft über Strea­ming (84%), gefolgt von phy­si­schen Medi­en (11%), Down­loads (2%) und Sync-Lizen­zen (Ver­wen­dung in visu­el­len Medi­en,2%).

“Phy­si­sche Medi­en” sind CDs und Vinyl-LPs (zum Teil auch wie­der Musik­kas­set­ten), wobei letz­te­re die ers­te­ren im Ver­kauf über­holt haben und eine Art Lieb­ha­ber-Renais­sance erfah­ren (das führt dazu, daß man, wie neu­lich mir pas­siert ist, heut­zu­ta­ge beim Libro unver­se­hens auf eine fun­kel­na­gel­neue Lieb­ha­ber­pres­sung des Debüt­al­bums von Vel­vet Under­ground inklu­si­ve abschäl­ba­rer War­hol-Bana­nen­scha­le sto­ßenkann).

Da Unter­hal­tungs­me­di­en heu­te vor allem via Inter­net kon­su­miert wer­den, kann sich jeder­mann sei­ne eige­ne, indi­vi­du­el­le Bespa­ßungs­bla­se ein­rich­ten, in der ihm die Algo­rith­men gleich unsicht­ba­ren Dschin­nen die pas­sen­de Kost aus einem inzwi­schen unüber­schau­bar rie­si­gen Oze­an aus digi­ta­len Ange­bo­ten und Über-Ange­bo­ten fischen und auf­ti­schen, und das oft in rascher Rei­hen­fol­ge und „quer durch den Gemü­se­gar­ten“, der frei­lich das Aus­maß und die Arten­viel­falt eines süd­ame­ri­ka­ni­schen Regen­wal­deshat.

Mit ein paar Klicks kann man in jedes nur erdenk­li­che Gen­re und Gesamt­werk, in jede belie­bi­ge Epo­che abtau­chen und die Zeit­ge­nos­sen igno­rie­ren, so lan­ge man möch­te (eti­am omnes, ego non). Ich mache das auch so, nur eben per Lap­top und mit selbst­er­stel­len Win­dows-Media-Play­er-Play­lis­ten und ähn­li­chen Old-School-Tech­ni­ken (ich habe auch einen Plat­ten- und einen Kas­set­ten­spie­ler, die ich recht häu­fig benutze).

Das sind mei­ne “kul­tur­anglei­chen­den Maß­nah­men”, um mein Lei­den dar­an, in der fal­schen Kul­tur gebo­ren zu sein, per Ein­ige­lung und Flucht aus der (die­ser) Zeit in die schö­nen Din­ge ver­gan­ge­ner Zei­ten etwas zu mildern.

Auch die­se künst­li­chen Para­die­se sind schon klick‑, bild­schirm- und dopa­min­stoß-inten­siv genug. Ich stel­le mich jetzt also nicht hin wie ein Pha­ri­sä­er, weil ich berufs­tech­nisch das Glück habe, an mei­nem Dumbpho­ne fest­hal­ten zu kön­nen. Auch ohne Smart­phone-Upgrade schwim­me ich in der­sel­ben Sup­pe wie wir alle, und ver­su­che dabei zumin­dest, nicht ganz gar­ge­kocht zu werden.

Bei mei­ner Recher­che stieß ich auf einen 2019 erschie­ne­nen Arti­kel des Musik­jour­na­lis­ten Simon Rey­nolds (Jahr­gang 1963), der vor der Auf­ga­be kapi­tu­lie­ren muß­te, einen Deka­den­rück­blick auf die Pop­kul­tur der 2010er Jah­re zu schrei­ben. Er bringt es per­fekt auf den Punkt, was gesche­henist:

Der Grund, war­um es sich so anfühlt, als sei in den 2010er Jah­ren nichts pas­siert, ist, daß zu viel pas­siert ist. Jeder kul­tu­rel­le Mei­len­stein wur­de sofort durch den Ansturm des nächs­ten und des über­nächs­ten weg­ge­fegt. Die­ser Effekt der Erin­ne­rungs­er­o­si­on ist einer der Grün­de, war­um wir den Ein­druck haben, daß uns das Zeit­ge­fühl abhan­den gekom­menist.

Die­ser Pro­zeß hat­te bereits im ers­ten Jahr­zehnt des 21. Jahr­hun­derts begon­nen, als File­sha­ring und You­Tube ein rie­si­ges, unge­ord­ne­tes, frei zugäng­li­ches Archiv ver­gan­ge­ner Pop­kul­tur schu­fen, das sich mit aktu­el­len Ver­öf­fent­li­chun­gen ver­misch­te, was einen Effekt der Zeit­lo­sig­keit erzeugte.

Die­se schwin­del­erre­gen­de Macht des tota­len und sofor­ti­gen Abrufs hat sich in den 2010er Jah­ren dank Strea­ming-Diens­ten wie Spo­ti­fy, Net­flix und Ama­zon noch ver­stärkt. Die­se gigan­ti­schen Platt­for­men haben nicht ein­fach den Platz der alten Mono­kul­tur der Mas­sen­me­di­en ein­ge­nom­men, son­dern haben den merk­wür­di­gen Effekt, daß sie gleich­zei­tig ver­ein­heit­li­chen und zer­split­tern. (Her­vor­he­bung von mir. –ML).

Anstatt die Ver­brau­cher dazu ein­zu­la­den, sich zu einem bestimm­ten Zeit­punkt auf ein gemein­sa­mes kul­tu­rel­les Erleb­nis ein­zu­stim­men, för­dern sie indi­vi­du­el­le Wege durch eine Fül­le von Kunst- und Unterhaltungsangeboten.

Strea­ming ist wie Radio ohne oder nur gerin­ge öffent­li­che Dimen­si­on. Gele­gent­lich fällt unse­re Strea­ming-Aus­wahl mit jener einer gro­ßen Anzahl ande­rer Men­schen zusam­men – das schwin­den­de Fla­ckern der Mono­kul­tur zieht uns alle vor­über­ge­hend an den­sel­ben Ort. Aber meis­tens sind unse­re Rei­sen durch die Klang­bi­blio­the­ken ein­sam und asozial.

Das ist die Ant­wort: Was man heu­te als „Pop­kul­tur“ iden­ti­fi­zie­ren könn­te, ist aus­ufernd und frag­men­tiert zugleich, mäan­dernd, ver­schwom­men und zu einem gro­ßen Teil los­ge­löst von Raum und Zeit. Der „Main­stream“ ist in zahl­lo­se Nischen zer­fal­len, ist sel­ber nur mehr eine Nische unter Nischen, auch wenn sich dar­in ein Mil­lio­nen­pu­bli­kum tum­melt, unbe­merkt von Mil­lio­nen ande­ren Men­schen, die in ande­ren Nischen ver­sun­kensind.

Blie­be noch zu klä­ren, ob sich das „Mono­kul­tu­rel­le“, des­sen Auf­lö­sung Rey­nolds kon­sta­tiert, nicht auf ande­re Ebe­nen ver­scho­ben hat. Die habi­tu­el­le Ähn­lich­keit zwi­schen dem May­hem- und dem Ed-Sheeran-Fan, die ich beschrie­ben habe, mag dafür als Sym­bol die­nen. Was ich da sah, war wohl die “Ein­heit in der Zer­split­te­rung” oder die gegen­stre­bi­ge Fügung der Heraklit.

In Wahr­heit ist Plu­ra­li­tät in unse­rer Gesell­schaft nur in unver­fäng­li­chen, pri­va­ten Berei­chen “erlaubt”. Ted Kac­zyn­ski beschrieb es bereits in den neun­zi­ger Jah­ren: “Dem Sys­tem ist es egal, wel­che Art von Musik jemand hört, wie er sich klei­det oder wel­che Reli­gi­on er hat”, solan­ge er sich wider­stands­los ins Getrie­be einfügt.

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Mitt­woch, 10.April

Im Tages­spie­gel vom 5. 4. erschien ein Schmier­stück (“hit pie­ce”, wie man auf Eng­lisch sagt) wider die “Juden in der AfD”, ins­be­son­de­re den Genos­sen Artur Abra­mo­vych, der auch Lesern die­ser Netz­sei­te bekannt sein dürfte.

Im Okto­ber letz­ten Jah­res haben wir Tei­le eines Brief­wech­sels (Teil eins, zwei, drei) zwi­schen ihm und mir zum The­ma Israel/Zionismus ver­öf­fent­licht (einen vier­ten Teil habe ich einst­wei­len in der Schub­la­de lie­gen lassen).

Dar­aus desti­liert der Autor des Stücks (Bezahl­schran­ke, aber Sie müs­sen es nicht lesen, mein Kom­men­tar genügt), ein gewis­ser Ruben Ger­c­zi­kow (Jahr­gang 1997), folgendes:

Er [Abra­mo­vych] hat für die Zeit­schrift „Sezes­si­on“ geschrie­ben, die zum vom Ver­fas­sungs­schutz als „gesi­chert rechts­extrem“ ein­ge­stuf­ten „Insti­tut für Staats­po­li­tik“ des neu­rech­ten Vor­den­kers Götz Kubit­schek gehört.

Was genau er da eigent­lich geschrie­ben hat und in wel­chem Rah­men es geschah, ver­schweigt Gerzci­kow (ach, wie bequem doch der nun offi­zi­ell zur Ver­fü­gung gestell­te Stem­pel des Ver­fas­sungs­schut­zes ist! Man könn­te fast mei­nen, daß er extra zu die­sem Zweck erfun­denwurde.)

Wir erfah­ren nicht, daß es sich ledig­lich um einen Gast­bei­trag auf der Netz­sei­te (nicht im Druck­ma­ga­zin) han­del­te, daß die­ser die Form eines Streit­ge­sprächs mit Yours Tru­ly hat­te, und daß Abra­mo­vych und ich ein­an­der dabei ziem­lich scharf in die Man­gel genom­men haben. Wir erfah­ren nicht ein­mal, um wel­ches The­ma es über­hauptging.

Die­ses sys­te­ma­ti­sche Aus­wei­chen vor kon­kre­ten Inhal­ten und Argu­men­ten hat (alt­be­kann­te, alt­be­währ­te) Metho­de. Gerzci­kow spult zwar ab, wer wann mit wem, aber “was” und “war­um” scheint ihn nicht zu inter­es­sie­ren. Obwohl er genau das irre­füh­ren­der­wei­se im Unter­ti­tel ankün­digt: “War­um ein jüdi­scher Netz­wer­ker sein Heil in der AfD sucht”. Was für eine sub­ti­le, hin­ter­grün­di­ge For­mu­lie­rung: Sein “Heil”! Hm,hm.

Inhalt­li­ches Inter­es­se soll­te man eigent­lich, wenn man immer noch so naiv ist wie ich, von einem Schrei­ber­ling erwar­ten, der laut Wiki­pip­pi zu span­nen­den The­men wie ” Rechts­extre­mis­mus, Isla­mis­mus, Anti­se­mi­tis­mus und Ver­schwö­rungs­ideo­lo­gien” publiziert.

Oder auch nicht, denn offen­bar haben wir es hier mit einem der übli­chen Denun­zi­an­ten und Akti­vis­ten auf Anti­fa-Niveau zu tun, die 200% auf der “rich­ti­gen” Sei­te sur­fen und bewähr­te, kar­rie­re­för­dern­de Maschen stricken.

Abra­mo­vych ist zwar der Haupt­schur­ke des Stücks, er taucht aber ledig­lich in Gestalt eines gesichts­lo­sen, phan­tom­haf­ten Dou­bles auf. Was wir über ihn erfah­ren, ist Klatsch etwa auf die­semLevel:

Ein Jugend­freund von ihm erzählt davon, dass er Abra­mo­vych zu sei­nen Uni­ver­si­täts­zei­ten in Frei­burg stu­di­en­be­dingt sich sehr stark für Phi­lo­so­phie inter­es­siert haben soll, aber auch „einen star­ken Bezug zum Natio­na­lis­mus“ gehabt haben soll. Vor allem das Kai­ser­reich habe es ihm ange­tan. Fer­ner soll er fas­zi­niert gewe­sen sein von den Grä­bern für die jüdi­schen Sol­da­ten aus dem Ers­ten Welt­krieg auf dem Sol­da­ten­fried­hof in Emmerndingen.

Huch!

Zusätz­lich erfah­ren wir, daß Abra­mo­vych “Sym­pa­thie­be­kun­dun­gen für den ehe­ma­li­gen SPD-Poli­ti­ker Thi­lo Sar­ra­zin geäu­ßert haben” soll, “der wegen sei­nen Aus­sa­gen zur Ein­wan­de­rungs­po­li­tik in die Kri­tik gera­ten ist”. (Kraß! Kan­tig! Rechtsextrem!)

Was wir, wie gesagt, nicht erfah­ren, ist, was er nun eigent­lich wirk­lich sel­ber denkt und wofür er kon­kret steht und ein­tritt und war­um. Das ein­zi­ge “Ver­bre­chen”, das er nach die­sem Bericht began­gen hat, ist Netz­wer­ke­rei inner­halb der AfD und gleich­ge­sinn­ter Juden, also im Grun­de eine ganz nor­ma­le Akti­vi­tät von Men­schen, die sich poli­tisch enga­gie­ren. Nach Ansicht von Fae­ser, Hal­den­wang & Co (sie­he hier und hier) frei­lich soll nun auch das schon kri­mi­na­li­siert wer­den, wenn es “von rechts” geschieht, weil es angeb­lich “die öffent­li­che Ord­nung” gefährdet.

War­um AfD-Netz­wer­ke­rei so böse ist, glaubt Gerzci­kow nicht wei­ter begrün­den zu müs­sen, weil die AfD aus sei­ner Sicht per se selbst­er­klä­rend böse ist und er das auch sei­nem Publi­kum nicht wei­ter erklä­ren muß. In der AfD sei­en eben die (wie auch immer defi­nier­ten) “Nazi­ver­harm­lo­ser” unter­wegs, wofür als Beleg etwa Gau­lands “Vogelschiß”-Zitat dient (das ich sel­ber für einen Fehl­griff hal­te; denn ein Zeit­raum von zwölf oder zwölf­hun­dert Jah­ren soll­te auch und vor allem qua­li­ta­tiv bemes­sen werden.)

Kein Wort etwa über Abra­mo­vychs lesens­wer­tes Buch Ent­ar­te­te Esprit­ju­den und heroi­sche Zio­nis­ten, eine lite­ra­tur­wis­sen­schaft­li­che Stu­die über Tho­mas Mann, Theo­dor Les­sing und den Kom­plex des “jüdi­schen Selbst­has­ses” (den ich per­sön­lich aus­ge­spro­chen unter­halt­sam fin­de). Kein Wort über sei­ne Über­set­zung des Romans Ita­mar K. von Iddo Net­an­ya­hu, kaum ein Zitat aus einem Arti­kel oder einer Rede von ihm, mit einer Aus­nah­me zu Beginn:

Die Teil­neh­mer der aktu­ell über­all im Land statt­fin­den­den Demons­tra­tio­nen gegen Rechts, behaup­tet er, woll­ten die „ein­zi­ge Oppo­si­ti­ons­par­tei“ ver­bie­ten las­sen und damit „de fac­to die Demo­kra­tie abschaf­fen“ – genau so, wie es auch die „Natio­nal­so­zia­lis­tentaten”.

Dies rubri­ziert Gerzci­kow unter “Rela­ti­vie­rung des Natio­nal­so­zia­lis­mus” (was offen­bar nicht der Fall ist, wenn mal wie­der irgend­je­mand aus der Regie­rung oder aus den Main­stream­m­e­di­en die AfD mit der NSPDAP “ver­gleicht”).

Eine wei­te­re vage inhalt­li­che Infor­ma­ti­on, die er anzu­bie­ten hat, ist, daß der anvi­sier­te Schur­ke bei der AfD Bochum zum The­ma „Auf­stieg des Isla­mis­mus und impor­tier­ter Anti­se­mi­tis­mus in Deutsch­land“ gespro­chenhat.

Nun: Man soll­te anneh­men, daß es doch für einen Juden in Deutsch­land hoch­in­ter­es­sant wäre, zu hören, was ein ande­rer Jude in Deutsch­land zu die­sem The­ma zu sagen hat, und mög­li­cher­wei­se, ich gestat­te mir den absei­ti­gen Gedan­ken, fin­det sich gera­de hier ein Schlüs­sel, war­um man­che Juden in Deutsch­land mit dem Main­stream jüdi­scher insti­tu­tio­nel­ler Reprä­sen­ta­ti­on unzu­frie­den sind und für die AfD optieren.

Für eine inhalt­li­che Aus­ein­an­der­set­zung ist sich Gerzci­kow jedoch offen­bar zu fein, nicht aber dafür, Ver­leum­dun­gen vom Hören­sa­gen aus der unters­ten Schub­la­de her­vor­zu­kra­men, wenn er etwa behaup­tet, Mit­glie­der der Deutsch-Israe­li­schen Gesell­schaft (DIG), bei der auch Abra­mo­vych Mit­glied ist, haben behaup­tet, letz­te­rer habe als Reak­ti­on auf Kri­tik an “extrem rech­ten Posi­tio­nen” “mit Gewalt gedroht”.

Was die Behaup­tung angeht, “eine Anfra­ge zu den Vor­wür­fen blieb vom JAfD-Vor­sit­zen­den unbe­ant­wor­tet”, so ist dies, nach per­sön­li­cher Aus­kunft von Abra­mo­vych, eine schlich­te Lüge. Dem­nach fand kein direk­ter Kon­takt­auf­nah­me­ver­such sei­tens Gerzci­kows statt (übri­gens “Poli­ti­cal Acti­vist of the Year” der Jah­re 2020 und 2021 der World Uni­on of Jewish Stu­dents). Abra­mo­vych hät­te gute Grün­de, recht­li­che Schrit­te einzuleiten.

Was mich inter­es­sie­ren wür­de, ist, ob wirk­lich stimmt, was die in dem Arti­kel zitier­te Psy­cho­lo­gin Mari­na Cher­ni­vs­ky, Lei­te­rin eines “Kom­pe­tenz­zen­trums” für “anti­se­mi­tis­mus­kri­ti­sche Bil­dung und For­schung”, behaup­tet, näm­lich, daß die “Mehr­heit der jüdi­schen Com­mu­ni­ty” die AfD als “abso­lu­te Bedro­hung” ein­stuft, und aus wel­chen Grün­den. Ratio­na­le Grün­de kann ich dafür jeden­falls nicht erkennen.

Wie den Lesern die­ses Blogs bekannt, habe ich etli­che Kri­tik­punk­te an dem Unter­neh­men JAfD (eine aktu­el­le eige­ne Netz­sei­te gibt es momen­tan offen­barnicht).

Man kann gewiß kei­nem Juden zum Vor­wurf machen, daß er sich dem Staat oder zumin­dest dem Pro­jekt Isra­el ver­bun­den fühlt, und es über­rascht auch nicht, daß rechts­ge­rich­te­te oder kon­ser­va­ti­ve Juden, die Sym­pa­thien für die AfD haben, häu­fig Likud-affin sind. Aber weil die AfD nun ein­mal eine Par­tei für Deutsch­land und nicht für Isra­el sein soll, hal­te ich es ver­fehlt, ihr zio­nis­ti­sche Par­tei­nah­men unter­ju­beln zu wol­len, ein Ver­such, der inner­halb der Par­tei und ihres Umfelds zu unpro­duk­ti­ven Span­nun­gen und Spal­tun­genführt.

Immer­hin ent­neh­me ich dem Arti­kel Gerzci­kows, was Jahr und Tag mei­ne Rede war und ist: Daß rechts­par­tei­ische Vor­stö­ße aller Art, sich an Isra­el ran­zu­hän­gen, auf kei­ne oder nur mar­gi­na­le Gegen­lie­be sto­ßen und dazu ver­dammt sind, illu­so­ri­sches Spar­ten­pro­gramm zu blei­ben (in ande­ren Län­dern, wie Ungarn, wo die domi­nan­te Rechs­par­tei die Regie­rung und nicht die Oppo­si­ti­on stellt, mag das anders sein.) Ich wür­de nicht emp­feh­len, die­sem Irr­licht zu folgen.

Eben­so hal­te ich das Hei­schen nach “Koscher­stem­peln” (wie Gerzci­kow for­mu­liert) aller Art für unwür­dig, weil man sich damit nur zum Spiel­ball von poli­ti­schen Mani­pu­la­tio­nen machen läßt. Die­se Nei­gung gibt es prak­tisch über­all, nicht nur in der AfD, da Koscher­stem­pel gewis­se Vor­tei­le brin­gen (aber eben auch ihren Preis haben). Es gibt aber kei­ne ver­bind­li­che Zen­tra­le, die ent­schei­det, wel­cher denn nun der “legi­ti­me” Koscher­stem­pel ist, und wer das Recht hat, ihn zu ver­ge­ben. Man kann ihn sich also bei ver­schie­de­nen, kon­kur­rie­ren­den jüdi­schen Frak­tio­nen holen. Ob er dann auch wirk­lich wei­ter­hilft, steht auf einem ande­renBlatt.

Ich habe frei­lich aber nichts dage­gen, wenn sich Juden (und auch “Migra­ti­ons­hin­ter­gründ­ler”) aus ehr­li­cher Über­zeu­gung für die AfD engagieren.

Jeden­falls mag die Num­mer aus dem Tages­spie­gel als Beleg dafür die­nen, daß man auch als Jude unter Juden nicht sicher vor per­sön­li­cher Dif­fa­mie­rung und Brand­mar­kung ist, wenn man “häre­ti­sche” Posi­tio­nen vertritt.

Wie ich bereits sag­te, kommt Abra­mo­vych selbst in dem Arti­kel im Grun­de gar nicht vor, son­dern nur ein abs­trak­ter, pas­send zurecht­ge­schnit­te­ner Buh­mann, der zufäl­lig den­sel­ben Namen trägt. So läuft es immer, und eben­so kur­sie­ren im Netz ent­spre­chen­de Dop­pel­gän­ger von Sell­ner, Kubit­schek, Höcke oder auch mei­ner Wenig­keit. Weil sie zu fei­ge sind, sich uns auf argu­men­ta­ti­ver Ebe­ne zu stel­len, müs­sen sie uns per­sön­lich angrei­fen und unse­re Argu­men­te entstellen.

Trotz unse­rer Dif­fe­ren­zen ver­ste­he ich mich mit Abra­mo­vych per­sön­lich recht gut. Er ist ein klas­sisch mer­ku­ria­ler Cha­rak­ter (mit dio­ny­si­schem Ein­schlag), der alles und jeden kennt, und auf alles und jeden neu­gie­rig ist. Er ist außer­dem ein amü­san­ter und aus­dau­ern­der Trink­part­ner (weit­aus aus­dau­ern­der und hart­ge­sot­te­ner als ich), und wenn sich mal wie­der eine ent­spre­chen­de Gele­gen­heit ergibt, mei­den wir halt die “Reiz­the­men” und reden statt­des­sen über Kubrick- und Woo­dy-Allen-Fil­me. Daß er irgend­je­man­dem “Gewalt andro­hen” wür­de oder könn­te, ist eine völ­lig lächer­li­che Vorstellung.

Viel­leicht soll­te Gerzci­kow, der etwa gleich alt ist wie Abra­mo­vych, mal ein Bier mit ihm trin­ken gehen, aber das wür­de wohl sei­ner künf­ti­gen Kar­rie­re als ZdJ-Appa­rat­schik scha­den. Ent­spre­chen­de Ambi­tio­nen läßt er jeden­falls deut­lich heraushängen.

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Mitt­woch, 28. Februar

Nach einer lan­gen Zug­fahrt mit mehr­ma­li­gem Umstei­gen war ich dem klei­nen Ort am Ran­de des Thü­rin­ger Wal­des ange­kom­men, an dem die Ver­an­stal­tung statt­fin­den soll­te. Rot­mi­la­ne kreis­ten lang­sam und laut­los über die noch blät­ter­lo­sen Baum­wip­fel. Schnee­glöck­chen und Kro­kus­se kün­dig­ten den Früh­lingan.

Was sich mir dar­bot, hät­te genau­so gut ein Dorf im tiefs­ten Rumä­ni­en, etwa in Sie­ben­bür­gen, sein kön­nen. Das ver­fal­le­ne Bahn­hofs­ge­bäu­de war geschlos­sen und erin­ner­te mich an das Spuk­haus in Murnaus Nos­fe­ra­tu (in Wahr­heit die alten Salz­spei­cher von Lübeck).

Nun fehl­te nur noch die Kut­sche mit den ver­hüll­ten Pfer­den und dem kobold­ar­ti­gen Len­ker, um mich mit über­sinn­li­cher Geschwin­dig­keit an mein Ziel zu brin­gen. Statt­des­sen kam ein Auto, um mich abzu­ho­len. Der Fah­rer war ein jun­ger Mann mit lan­gen, locki­gen Haa­ren und einem zier­li­chen Bärt­chen. Optisch hät­te er gut in eine Prog- oder Psy­che­de­lic-Rock-Band der sieb­zi­ger Jah­re pas­sen können.

Er war Mit­glied eines Künst­ler­kol­lek­tivs aus Musi­kern, Malern, Gra­phi­kern, Dich­tern und Cine­as­ten, das mich ein­ge­la­den hat­te, einen Vor­trag zu einem The­ma mei­ner Wahl zu halten.

Ich schlug vor, einen Film­re­gis­seur vor­zu­stel­len, der seit nun fast 30 Jah­ren eine andau­ern­de Fas­zi­na­ti­on auf mich aus­übt und mein Leben maß­geb­lich beein­flußt hat: Ken­neth Anger, der im Mai letz­ten Jah­res im hohen Alter von 96 Jah­ren gestor­ben ist, gefolgt von einer Vor­füh­rung eines oder meh­re­rer sei­nerFilme.

Der Ver­an­stal­tungs­ort war etwa zehn Minu­ten Auto­fahrt vom Bahn­hof ent­fernt. Was sich mir dar­bot, war ein Stück unwahr­schein­li­ches Gehei­mes Deutsch­land am Wal­des­rand, das bei­na­he sur­rea­le Qua­li­tä­tenhatte.

Von außen war es ein mehr­stö­cki­ges, unge­fähr fünf­zehn Meter hohes Eisen­be­ton­ge­bäu­de aus der Zeit vor dem ers­ten Welt­krieg, das frü­her zu land­wirt­schaft­li­chen Zwe­cken, etwa als Korn­kam­mer, genutzt wor­den war. In DDR-Zei­ten dien­te es eine zeit­lang als eine Art “Jugend­treff”. Optisch beson­ders schön und auf­fäl­lig war ein ehe­ma­li­ger Was­ser­turm, der mit dem Haupt­ge­bäu­de ver­bun­denwar.

Wenn man es von außen sah, war man kaum vor­be­rei­tet auf den Anblick, der sich im Inne­ren bot. Die Stock­wer­ke erreich­te man zu Fuß durch eine Wen­del­trep­pe. Dort befan­den sich Lager­räu­me, Gäs­te­zim­mer, Bade­zim­mer, Ate­liers für die Künst­ler, ein klei­nes Ton­stu­dio, eine Biblio­thek, eine Küche, eine reich­lich bestück­te Bar, sowie ein gro­ßer Raum, der für Vor­trä­ge, Kon­zer­te und Par­tys ein­ge­rich­tetwar.

Die Mit­glie­der des Kol­lek­tivs hat­ten sich hier mit stu­pen­dem Auf­wand einen Traum von einem Refu­gi­um ins Anders­wo und Anders­wie erfüllt. Da es sich bei ihnen um eine Art Geheim­bund han­delt, in den nicht jeder hin­ein­kommt, wer­de ich nicht mehr über sie erzäh­len. Jeden­falls habe ich sel­ten eine sol­che Ansamm­lung an eigen­wil­li­gen Cha­rak­te­ren gesehen.

Mit ihrer Erlaub­nis erwäh­ne ich nur eine feline, rus­si­sche Sän­ge­rin und Bal­let­tän­ze­rin, die sich “Grisch­kin” nann­te. In ihrem Zim­mer im obers­ten Stock­werk beher­berg­te sie eine Gar­de­ro­be aus extra­va­gan­ten Kos­tü­men, die sie zum Teil von ihrer Groß­mutter aus St. Peters­burg geerbt hatte.

Ich erblick­te eine Leo­par­den­fell­ja­cke, die mich an Rai­ner Wer­ner Fass­bin­ders Out­fit in dem Film Kami­ka­ze 1989 erin­ner­te. Aus Spaß pro­bier­te ich sie an, und muß­te fest­stel­len, daß sie mir wie ange­gos­sen paß­te. Grisch­kin beschloß spon­tan, sie mir zum Geschenk zu machen; sie selbst zie­he sie kaum an, da sie dar­in wie eine “pro­sti­tutka” aussehe.

Der Leo­pard ist ein tra­di­tio­nel­ler Beglei­ter des Dio­ny­sos, und so ergrif­fen in die­ser Voll­mond­nacht mit dem mys­ti­schen Datum 24. 2. 2024 ent­spre­chen­de Ener­gien von mir Besitz.

Auch über die Gäs­te gelob­te ich zu schwei­gen. Sie waren hand­ver­le­sen und kamen aus ganz Deutsch­land ange­reist, unter ihnen so man­cher Star­gast “unse­res” Spek­trums. Die Frau­en­quo­te war für eine Ver­an­stal­tung die­ser Art erstaun­lich hoch. Etli­che hat­ten, eben­so wie ich, Wur­zeln in der “schwar­zen Sze­ne” und im Neofolk.

Beson­ders bewe­gend war für mich das Wie­der­tref­fen mit einem musi­ka­lisch akti­ven Paar, das ich zuletzt im Win­ter 2005 in einer ver­schnei­ten Berg­hüt­te, eben­falls im Thü­rin­ger Wald, getrof­fen hat­te. Sie zeig­ten mir auf einem Smart­phone Fotos, die ich noch nie zuvor gese­henhatte.

Damals hat­te ich in einer klei­nen Run­de von Neo­folk-Enthu­si­as­ten bei Ker­zen­licht ein paar Tex­te vor­ge­tra­gen, die ich zusam­men­ge­stellt hat­te: unter ande­rem von Höl­der­lin, Heid­eg­ger, Rein­hold Schnei­der, Ste­fan Geor­ge, Tho­mas Tra­her­ne und Gott­friedBenn.

Per Foto­ko­pie­rer hat­te ich dar­aus ein klei­nes Heft her­ge­stellt, von dem jeder Anwe­sen­de ein Exem­plar bekam. Die­ses Heft war die Keim­zel­le (oder Ur-Ur-Ver­si­on) mei­nes Buches Kann nur ein Gott uns ret­ten?, das neun Jah­re spä­ter erschei­nen sollte.

Über Ken­neth Anger und sein schil­lern­des, extra­va­gan­tes Leben wer­de ich eines Tages noch einen eige­nen Arti­kel schrei­ben müs­sen. Er war ein soge­nann­ter “Avant­gar­de”-, “Expe­ri­men­tal”- oder “Underground”-Filmer, Eti­ket­ten, die er selbst abge­lehnt hat (eben­so wie die Kate­go­rie “gay”, in die er heu­te wegen sei­ner hom*o­se­xua­li­tät ein­sor­tiert wird). Er arbei­te­te als Außen­sei­ter kom­plett abseits der gro­ßen Film­in­dus­trie, der er mit einer Art Haß­li­e­be gegen­überstand.

Sei­ne Fil­me, deren längs­ter nur etwa vier­zig Minu­ten dau­ert, sind kom­ple­xe visu­el­le Poe­me ohne Dia­lo­ge und mit nur rudi­men­tä­rer Hand­lung, Neo-Stumm­fil­me mit Musik, die von Rhyth­mus und Far­be leben, die in ers­ter Linie sinn­li­che, nicht intel­lek­tu­el­le Erleb­nis­se sind. Sie sind hoch­ar­ti­fi­zi­el­le, deka­den­te “Blu­men des Bösen”, die Anger zu einem Hel­den all jener gemacht haben, die einen eher düs­te­ren und absei­ti­gen Geschmack pflegen.

Ich habe sei­nen “Magick Lan­tern Cycle”, einen Zyklus aus neun Fil­men, enstan­den zwi­schen 1947 und 1980, zum ers­ten Mal auf VHS-Kas­set­ten im Alter von acht­zehn Jah­ren gese­hen und war voll­kom­men weg­ge­bla­sen: Nicht nur ihre Ästhe­tik und The­ma­tik zogen mich in ihren Bann, son­dern auch ihre ima­gi­na­ti­ve, phan­ta­sie­vol­le Machart.

Bis auf eine Aus­nah­me sind sie alle­samt auf 16mm-Film gedreht, mit sehr gerin­gen bis gar nicht vor­han­de­nen Bud­gets. Die Dar­stel­ler sind stets Lai­en, Freun­de Angers oder Men­schen, die er auf­grund ihrer see­li­schen Aus­strah­lung, kör­per­li­chen Erschei­nung und Phy­sio­gno­mie besetz­te. Das wirk­te trü­ge­risch ein­fach und weck­te in mir den Wunsch, selbst Fil­me zu machen. Ich begann, mit Freun­den aus der “schwar­zen Sze­ne” heu­te eher pein­li­che Kurz­film­chen auf Hi-8-Video zu dre­hen, die Angers Stil zu imi­tie­ren ver­such­ten (so habe ich eine Art Gruf­ti-Remake von Puce Moment gedreht).

Ich hat­te zu die­ser Zeit einen gro­ßen Hun­ger nach spi­ri­tu­el­len, meta­phy­si­schen Din­gen, ein schwär­me­ri­sches Inter­es­se an Reli­gi­on, Okkul­tis­mus und Eso­te­rik, las Jung und Elia­de, Gus­tav Mey­rink und sei­nen heu­te ver­ges­se­nen Schü­ler Her­bert Frit­sche, Hes­ses Demi­an, Wal­ter Schub­arts Reli­gi­on und Eros, Rudolf Ottos Das Hei­li­ge, die herr­lich obsku­ren Aor­ta-Trak­ta­te von “Kad­mon” Ger­hard Hall­statt, Wil­liam Bla­ke und den Nietz­sche der “Dio­ny­sos-Dithryam­ben”. So war es kein Wun­der, daß ich zum fana­ti­schen Fan von ein­schlä­gig ori­en­tier­ten Bands wie Cur­rent 93, Death in June oder Coilwurde.

Ich möch­te beto­nen, daß ich dabei zu kei­nem Zeit­punkt “anti­christ­lich” oder gar “sata­nis­tisch” ein­ge­stellt war, ganz im Gegen­teil. Es war eine Art per­sön­li­cher, eigen­wil­li­ger Syn­kre­tis­mus, der sich in mir zusam­men­ge­braut hat­te. Ich fühl­te mich als das, was Colin Wil­son einen “Fähr­ten­su­cher Got­tes” nann­te, und es waren vor allem die Spu­ren der Schön­heit und des Geheim­nis­ses, “eksta­ti­sche Wahr­hei­ten”, nach denen ich suchte.

Angers Werk paß­te per­fekt zu die­sen Nei­gun­gen und Pas­sio­nen. Sei­ne spi­ri­tu­el­le Leit­fi­gur war der skan­dal­um­wit­ter­te Magi­er und Liber­tin Aleis­ter Crow­ley, er selbst beken­nen­der “Thel­emit”. Vor allem sei­ne Fil­me Inau­gu­ra­ti­on of the Plea­su­re Dome, Invo­ca­ti­on of my Demon Brot­her und Luci­fer Rising sind stark von der “Crow­leyani­ty” beein­flußt, die mich selbst nie beson­ders ange­zo­gen (eher abge­stos­sen) hat, und die ich (größ­ten­teils) für Hum­bug hal­te. Im Fal­le Angers hat sie immer­hin bemer­kens­wer­te Kunst­wer­ke inspiriert.

Am 30. und 31. Mai 1995 sah ich sämt­li­che Fil­me von Anger im Wie­ner Stadt­ki­no als Film­pro­jek­tio­nen auf der Lein­wand – also so, wie sie opti­ma­ler­wei­se gese­hen wer­den soll­ten. Der opti­sche Ein­druck war über­wäl­ti­gend, berauschend.

Anger selbst war an bei­den Aben­den anwe­send und stell­te sich Fra­gen aus dem Publi­kum. Ich hat­te einen wüs­ten, schwu­len, sado­ma­so­chis­ti­schen Sata­nis­ten in schwar­zer Leder­ja­cke erwar­tet, und war etwas scho­ckiert, statt­des­sen einen freund­li­chen Opa im Schlab­ber­woll­pul­li mit Pla­ne­ten-Moti­ven zu erle­ben (der Wolf im Schafspelz?).

Nach einer der bei­den Vor­stel­lun­gen wag­te ich mich an ihn her­an, und bat ihn, den Kata­log einer Aus­stel­lung zu signie­ren, die par­al­lel zu den Film­vor­füh­run­gen in Wien zu sehen war. Naiv, wie ich war, woll­te ich ihn fra­gen, ob er sich als “reli­giö­ser” Fil­me­ma­cher sehe, was ich für eine sehr schlaue und bedeu­tungs­vol­le Fra­ge hielt, brach­te es aber aus Schüch­tern­heit nicht übermich.

Der Film, den ich im Refu­gi­um im Thü­rin­ger Wald einem Publi­kum von etwa drei­ßig Leu­ten vor­führ­te, war Angers Opus magnum Luci­fer Rising, des­sen Ver­wirk­li­chung ein­ein­halb Jahr­zehn­te in Anspruch nahm (von 1966 bis 1980) und das den Fil­me­ma­cher mehr oder weni­ger aus­ge­laugt zurück­ließ. In den fol­gen­den vier­ein­halb Jahr­zehn­ten sei­nes Lebens soll­te er kein bedeu­ten­des Werk mehr schaf­fen. Ab und zu brach­te er belang­lo­se Kurz- und Kür­zest­fil­me (auf Video) her­aus, die nichts mehr von sei­nem frü­he­ren Genie erah­nen ließen.

Der “Luci­fer” des Films, der sich als neo-heid­ni­sche Visi­on ver­steht, ist im Sin­ne der Crow­ley-Leh­re nicht der Teu­fel der Chris­ten­tums, son­dern eine Art Licht- und Son­nen­gott eines kom­men­den “Äons”, das das “judäo­christ­li­che” Zeit­al­ter ablö­sen soll (ähn­lich dem “Age of Aqua­ri­us” der Hip­pies). Er wird im Film gleich­ge­setzt mit Horus, dem Sohn von Isis und Osi­ris, die als Per­so­ni­fi­ka­tio­nen von Leben und Tod auftauchen.

Der Groß­teil des Films wur­de in Ägyp­ten, in Gizeh, Luxor und Kar­nak gedreht, ande­re, unver­geß­li­che Sze­nen in Stone­henge und bei den Extern­stei­nen im Teu­to­bur­ger Wald. Mari­an­ne Faithfull, die zeit­wei­li­ge Gelieb­te Mick Jag­gers, taucht in einer Dop­pel­rol­le als Lilith, die “ers­te Frau Adams”, und als teil­wei­se etwas ver­stör­te wir­ken­de Initia­tin eines magi­schen Kultsauf.

Vul­ka­ne, Lava­mas­sen, Wald­brän­de, Stür­me, Mee­res­wel­len, wil­de Tie­re wie Kro­ko­di­le, Ele­fan­ten, Schlan­gen und Tiger evo­zie­ren die Urkräf­te des Lebens. Magi­er in bun­ten Klei­dern beschwö­ren kos­mi­sche Energien.

Luzi­fer erscheint mit brau­nen Locken im Habi­tus eines jugend­li­chen Rock­stars, am Ende des Films tau­chen sogar oran­ge­ne UFOs als Boten des “neu­en Zeit­al­ters” auf (Sera­phim Rose und der Tra­di­tio­na­list Charles Upt­on deu­te­ten UFOs als “Dämo­nen” bzw. Dschin­nen).

Dies alles unter­legt mit der phan­tas­ti­schen, hyp­no­tisch-psy­che­de­li­schen Musik von Bob­by Beausoleil.

Wie es der Zufall will, starb kurz zuvor, am 19. Febru­ar, der Ägyp­to­lo­ge Jan Ass­mann im Alter von 85 Jah­ren. Sei­ne Gegen­über­stel­lung von jüdisch-christ­lich-isla­mi­schem Mono­the­is­mus und heid­ni­schem “Kos­mo­the­is­mus” bie­tet mei­ner Ansicht nach einen her­vor­ra­gen­den Schlüs­sel zu Angers Film, den ich als in die­sem Sin­ne “kos­mo­the­is­tisch” (und nicht als “sata­nis­tisch”) klas­si­fi­zie­ren wür­de (er hat jeden­falls gewiß mehr mit Lud­wig Kla­ges als mit Anton LaVey zutun).

Im Tanach, der hebräi­schen Bibel, sind die Ägyp­ter die “Bösen”, die Zau­be­rer und Göt­zen­an­be­ter par excel­lence. In Luci­fer Rising sind sie die “Guten”, wie auch über­haupt in der in der Renais­sance wie­der­ent­deck­ten her­me­ti­schen Tra­di­ti­on, die, ver­mit­telt über die Frei­mau­re­rei, auch in der Zau­ber­flö­te mit ihrem ägyp­ti­schen “Set­ting” auftaucht.

Auch in der “Thelema”-Bewegung, einem wil­den Misch­masch aus okkul­ten Tra­di­tio­nen und Fabri­ka­tio­nen, spie­len ägyp­ti­sche Moti­ve als vor­christ­lich-heid­ni­sches Para­dig­ma eine ent­schei­den­de Rol­le: Crow­ley behaup­te­te, sein “Buch des Geset­zes”, eine Art “Bibel” des neu­en Zeit­al­ters, medi­um­is­tisch vor einer Ste­le im Ägyp­ti­schen Muse­um in Kai­ro emp­fan­gen zuhaben.

In die­sem Zusam­men­hang ist eine sehr küh­ne The­se bemer­kens­wert, die Ass­mann etwa in Moses der Ägyp­ter dar­ge­legt hat: Kurz gefaßt wäre die jüdi­sche Reli­gi­on eine Art Inver­si­on der ägyp­ti­schen Reli­gi­on, nicht unähn­lich dem “klas­si­schen” Sata­nis­mus (nach­zu­le­sen etwa bei Huys­mans), der alles, was im Chris­ten­tum hei­lig ist, auf den Kopf stellt. Ihr Vor­bild fin­det Ass­mann im ägyp­ti­schen Häre­ti­ker Ech­na­ton, der den ägyp­ti­schen Pan­the­on durch einen Mono­the­is­mus erset­zen wollte.

All dies wären The­men für künf­ti­ge Essays. Ich selbst hal­te, wie gesagt, nichts von der “Crow­leyani­ty” und den­ke, daß zere­mo­ni­el­le Magie, sofern sie denn “funk­tio­niert”, eine eher gefähr­li­che Sache ist. Wor­an ich aber glau­be, ist die “Magie” der Kunst, die mit Licht, Far­be und Bewe­gung Kraft­fel­der erzeu­gen und die Welt “wie­der­ver­zau­bern”kann.

Zu Beginn der Ver­an­stal­tung bekam jeder Gast, der es wünsch­te, einen knall­ro­ten, von der Bar­da­me ad hoc erfun­de­nen “Luci­fer Shot”, zum Abschied einen von Tris­tan Glas­zwist ent­wor­fe­nen Pos­ter mit Signa­tur von Lichtmesz.

Nach der Film­vor­füh­rung, die sehr gut ankam, begab ich mich ans DJ-Pult und beschall­te die Gäs­te mit Neofolk‑, Postpunk‑, Dark­wa­ve- und Gothic-Musik. Getanzt wur­de enthu­si­as­tisch bis halb fünf Uhr morgens.

Am Ende die­ser Nacht fühl­te ich mich, als wäre auf magi­sche Wei­se ein Wunsch in Erfül­lung gegangen.

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Don­ners­tag, 21. Dezem­ber2023

Letz­tes Wochen­en­de war ich zu einer klei­nen Run­de im gemüt­li­chen Jagd­pa­vil­lon des Gra­fen von P. nahe der öst­li­chen Gren­ze ein­ge­la­den. Die Stil­le, Abge­schie­den­heit und Men­schen­lee­re des Ortes stan­den in wohl­tu­en­dem Kon­trast zum Getö­se der Groß­stadt, aus der ich mit dem Zug spät­abends ange­reistwar.

Die rück­wär­ti­ge Wand des Pavil­lons lehn­te sich an den dunk­len Rand eines Tan­nen­wal­des, in dem noch etwas Schnee vom gro­ßen Win­ter­ein­bruch vor zwei Wochen lie­gen­ge­blie­ben war. Die Innen­aus­stat­tung spie­gel­te den zuwei­len exzen­tri­schen Geschmack des Besit­zers wider. An der Wand hin­gen, neben den obli­ga­ten Hirsch­ge­wei­hen und Eber­köp­fen, Gemäl­de von öster­rei­chi­schen phan­tas­ti­schen Rea­lis­ten und pol­ni­schen Sur­rea­lis­ten sowie etli­che ita­lie­ni­sche Art-Deco-Drucke.

Im Bücher­stän­der däm­mer­ten, dem Ambi­en­te gemäß, anti­ke Bän­de in Gold und Braun, aber auch die gesam­mel­ten Wer­ke von Jules Ver­ne in der schö­nen (von mir per­sön­lich favo­ri­sier­ten) gel­ben Taschen­buch­aus­ga­be des Dio­ge­nes-Ver­lags aus den sieb­zi­ger Jah­ren mit den Kup­fer­sti­chen der Originalausgaben.

Auf den Rega­len stan­den neben geschmack­vol­len Skulp­tu­ren aller­lei pit­to­res­ke alchi­mis­ti­sche Appa­ra­tu­ren, Röh­ren, Phio­len, Alem­biks, Brenn­bla­sen, Mör­ser und glä­ser­ne Behäl­ter. Es war dem Gra­fen aller­dings, so teil­te er uns mit Bedau­ern mit, bis­lang noch nicht gelun­gen, “auch nur ein Stäub­chen Gold” her­zu­stel­len. Auf­ge­ge­ben hat­te er aller­dings noch nicht. Kapi­tu­la­ti­on ist nicht Teil sei­nes Charakters.

Nach einem üppi­gen Abend­essen nah­men wir Her­ren am Kamin­feu­er Platz, bedien­ten uns aus einem reich­li­chen Sor­ti­ment von Zigar­ren und Ziga­ril­los und schwenk­ten bau­chi­ge Cognac-Glä­ser. Obwohl sie Nicht­rau­che­rin­nen waren und abge­se­hen von ein, zwei Weiß­wein­sprit­zern abs­ti­nent blie­ben, gesell­ten sich zwei klu­ge, jun­ge Damen zu uns (die Gesamt­run­de war etwa zu glei­chen Tei­len mit Män­nern und Frau­en besetzt, auch ein paar Kin­der waren anwesend).

Eine der bei­den betrieb ein merk­wür­di­ges Kunst­hand­werk: Ihre Spe­zia­li­tät war die Anfer­ti­gung von Schmuck, Lam­pen, Aschen­be­chern, Gar­de­ro­ben­stän­dern und unde­fi­nier­ba­ren deko­ra­ti­ven Gegen­stän­den aus den Kno­chen aller nur erdenk­li­chen Tie­re, ins­be­son­de­re deren Schä­del. Sie hat­te es dar­in zu einer stu­pen­den Meis­ter­schaft gebracht. Man­che fan­den ihren Humor etwas makaber.

Die ande­re war nicht weni­ger eigen­wil­lig. Sie hat­te mir zuvor gestan­den, daß sie davon träu­me, sich das iko­ni­sche Kon­ter­fei eines düs­te­ren Phi­lo­so­phen der Kon­ser­va­ti­ven Revo­lu­ti­on auf den rech­ten Ober­schen­kel täto­wie­ren zu las­sen, mit einem Schrift­zug in Frak­tur: “Oswald Speng­ler Ultras”.

Wir hat­ten schon den gan­zen Abend mit hei­te­ren und erns­ten Gesprä­chen ver­bracht, die in größ­ter Frei­heit und Offen­heit geführt wur­den, wie es heu­te nur mehr in spe­zi­el­len Refu­gi­en mög­lichist.

Jeder ein­zel­ne Gast hat­te min­des­tens eine haar­sträu­ben­de Anek­do­te über die “Corona”-Jahre bei­zu­steu­ern, die wir alle­samt im hart­nä­cki­gen Wider­stands­mo­dus ver­bracht hat­ten. Auch ich hat­te aus die­sem Gen­re etli­ches bei­zu­steu­ern, ver­spür­te aber einen inne­ren Wider­wil­len, an die­se gera­de­zu trau­ma­ti­sche Zeit auch nur zu den­ken. Den­noch will und wer­de ich mein Leben lang nicht ver­ges­sen (und auch nicht ver­ge­ben), was damals gesche­henist.

Mit dem Fort­schrei­ten des Abends wur­de unse­re Stim­mung aus­ge­las­se­ner, unser Geläch­ter schal­len­der und home­ri­scher. Dann aber gelang­ten wir bei einem The­ma an, das unse­re Mie­nen schlag­ar­tig ver­fins­tern ließ und einen glü­hen­den, extre­mis­ti­schen, radi­ka­len, unver­söhn­li­chen, gren­zen­lo­sen Haß ohne Boden weckte.

Nun war der Spaß zu Ende. Sogar aus dem Ant­litz unse­res stets jovia­len Gast­ge­bers waren Iro­nie und Humor ver­schwun­den. Sei­ne Augen ver­eng­ten sich zu bedroh­li­chen Schlit­zen, Clint East­wood gleich, bevor er sei­ne Magnum zückt.

Denn nun blick­ten wir dem Unter­gang der Welt direkt ins Auge: Die Rede war auf die Ver­bre­chen der zeit­ge­nös­si­schen Archi­tek­tur gekommen.

Auf die Ver­schan­de­lung und Zer­stö­rung von Stadt- und Dorf­bild­ern. Auf den archi­tek­to­ni­schen Ver­nich­tungs­krieg gegen alles Gewach­se­ne, Orga­ni­sche und Über­lie­fer­te. Die Aus­lö­schung der in Räu­men bewahr­ten Spu­ren der Zeit, um die Gefäng­nis­se einer tyran­ni­schen, geschichts­lo­sen All-Gegen­wart zu errich­ten. Die Ver­flüs­si­gung kon­kre­ter Orte in ein unter­schieds­lo­ses Über­all und Nirgendwo.

Die schwach­sin­ni­gen, scheuß­li­chen, defor­mier­ten, stüm­per­haf­ten, teu­ren Skulp­tu­ren im öffent­li­chen Raum. Das Wuchern von bil­li­gen, schmuck­lo­sen, men­schen­un­wür­di­gen Beton­klöt­zen, deren Anblick Sui­zid­wün­sche weckt. Die meta­sta­sen­ar­tig vor­an­schrei­ten­de Boden­ver­sie­ge­lung und das ste­ti­ge Schwin­den von grü­nen und unbe­sie­del­ten Flä­chen. Gebäu­de, die vor ego­zen­tri­scher Wich­tig­tue­rei oder stumpf­sin­ni­ger Aso­zia­li­tät strot­zen, sich wie Rüpel oder stein­ge­wor­de­ner Pöbel auf Orten breit­ma­chen, an denen sie nichts ver­lo­renhaben.

Jeder ein­zel­ne Teil­neh­mer der Kamin­run­de konn­te ein Bei­spiel nen­nen, das sein ästhe­ti­sches und mora­li­sches Emp­fin­den zutiefst belei­digt hat­te. Die meis­ten Bei­spie­le, die genannt wur­den, stamm­ten nicht aus der Groß­stadt (wo der­lei ohne­hin kaum mehr wahr­ge­nom­men wird), son­dern aus der ver­meint­lich hei­len Pro­vinz, wo die archi­tek­to­ni­sche Ver­we­sung, die eine inne­re, geis­ti­ge Ver­we­sung wider­spie­gelt, beson­ders schmerz­lich sicht­barwird.

Die einst beschau­li­che Haupt­stra­ße eines Dor­fes, in die ein form­lo­ses Ein­kaufs­cen­ter mit einem brei­ten Ein­gang gleich einem gäh­nen­den Maul hin­ein­ge­preßt und die mit vul­gä­ren, ver­schwen­de­ri­schen Beleuch­tungs­exzes­sen ver­un­stal­tet wur­de. Zusätz­lich säu­men den Geh­steig dümm­li­che, sinn­lo­se Stein­ku­geln, die in regel­mä­ßi­gen Abstän­den von­ein­an­der auf­ge­stellt wurden.

Eine Barock­kir­che, die ste­ril­sa­niert und mit Glas­tü­ren und einem schie­fen, wür­de­lo­sen Mar­mor­le­se­pult in idio­ti­scher Zick­zack­form aus­ge­stat­tet wur­de. Der Gast, der die­ses Bei­spiel nann­te, litt dar­un­ter tief: Frü­her hat­te er immer, wenn er in sei­nem Hei­mat­ort weil­te, die Kir­che zu einem stil­len Gebet besucht. Nun bräch­te er es vor Schmerz nicht mehr über sich, das Gebäu­de zu betre­ten, es käme ihm vor, es wäre ein Sakri­leg gesche­hen, das alle guten Geis­ter und mys­ti­schen Kind­heits­er­in­ne­run­gen aus­ge­trie­ben habe, allein durch die Anwe­sen­heit des miß­ra­te­nen Lese­pults, die von unbe­greif­li­cher Dumm­heitsei.

Das ältes­te Haus eines Dor­fes, stam­mend aus dem Hoch­mit­tel­al­ter, ein ein­fa­cher, aber har­mo­ni­scher und anhei­meln­der Bau mit klei­nen Spros­sen­fens­tern, einer uralten Holz­tür und schrä­gen Dächern, ange­leimt an einen eckig-zacki­gen Stahl-Glas-Wohn­haus­kas­ten mit fla­chen Dächern, gleich einem archi­tek­to­ni­schen Ken­taur, in dem das Unver­ein­ba­re gewalt­sam zusam­men­ge­zwun­genwurde.

Ein Wirts­haus aus dem 19. Jahr­hun­dert, das über vie­le Gene­ra­tio­nen hin­weg unzäh­li­ge Hoch­zei­ten, Tau­fen, Begräb­nis­se und Geburts­tags­fei­ern gese­hen hat­te, auf­grund der Dezen­tra­li­sie­rung und Auf­lö­sung des sozia­len Lebens im Dorf nicht mehr ren­ta­bel, geschlos­sen, abge­ris­sen und ersetzt durch einen wei­te­ren ecki­gen, lieb­los hin­ge­klotz­ten Wohn­bau­kas­ten mit einem mar­kan­ten Vor­bau, der auf dicken, run­den, metal­lisch glän­zen­den Säu­len ruht. Er wur­de gera­de so hoch gebaut, daß den Ein­woh­nern der dahin­ter gele­ge­nen Häu­ser, die zum Teil über zwei­hun­dert Jah­re alt sind, der Blick auf die Kir­che aus dem Spät­ba­rock ver­sperrt wird.

Der Graf von P., ein wider­stän­di­ger Idea­list und Schön­geist am Ran­de der Selbst­schä­di­gung, gestand, daß er im nahe­lie­gen­den Ort bereits ein hal­bes Dut­zend Häu­ser auf­ge­kauft habe, nur um sie vor dem Abriß und der Erset­zung durch moder­nis­ti­sche Scheuß­lich­kei­ten zu retten.

Wel­che Art von Mensch ent­schei­det über die­se Din­ge? Ich wer­de es nie begrei­fen. Was geht in Gehir­nen vor, die es fer­tig brin­gen, sich sab­bernd däm­li­che Mons­trö­si­tä­ten wie den unlängst in Wien prä­sen­tier­ten “WirWasser”-Brunnen, der 1,8 Mil­lio­nen Euro gekos­tet hat, aus­zu­den­ken und ihnen Bau­ge­neh­mi­gung zu ertei­len? (Wobei ein Blick in das schnit­zel­ar­ti­ge Ant­litz von Bür­ger­meis­ter Lud­wig genügt, um törich­te Fra­gen die­ser Art jäh ver­stum­men zu lassen.)

Ein Bei­spiel aus einer Groß­stadt wur­de auf­ge­bracht, das alle kann­ten und alle glei­cher­ma­ßen lei­den­schaft­lich haß­ten: Das “Kunst­haus Graz”, ein schwarz­glän­zen­des, behä­bi­ges, in “bio­mor­phen” Frei­form­kur­ven wabern­des Exkre­ment in Gebäu­de­form (soge­nann­te “Blob-Archi­tek­tur”) mit saug­na­pf­ar­ti­gen Aus­stül­pun­gen auf dem “Dach” (sie nen­nen es “Licht­ein­lass-Rüs­sel”), das 2003 mit­ten in die Alt­stadt geko­tet wur­de, wo es sich, Zitat Wiki­pe­dia, “bewusst von der baro­cken Dach­land­schaft mit ihren roten Zie­gel­dä­chern” abhe­bensoll.

Mit ande­ren Wor­ten han­delt es sich ein­ge­stan­de­ner­ma­ßen um einen gezielt bös­wil­li­gen, minus­be­seel­ten, sadis­ti­schen Akt von Van­da­lis­mus, wor­an ein Blick vom Schloß­berg hin­ab in die Alt­stadt nicht den gerings­ten Zwei­fel übrig läßt. Die­se hämi­sche opti­sche Beschmut­zung wur­de also, wie man in Öster­reich sagt, tat­säch­lich “z’Fleiß” gemacht.

Es ist auch kein Zufall, daß es eine Art “Ali­en” dar­stel­len soll. Es hat kei­ne Haf­tung auf und kei­nen Bezug zu dem Boden, auf den es gestellt wur­de; es ist aus dem Nichts des Ort- und Geschichts­lo­sen her­ab­ge­stürzt, um einen kon­kre­ten, geschicht­lich gewach­se­nen Ort zu zer­stö­ren, zu zer­set­zen, zu “dekon­stru­ie­ren”; es ist nicht gleich­gül­tig gegen­über den benach­bar­ten Gebäu­den, son­dern ver­hält sich ihnen gegen­über offen feindselig.

Innen wird natür­lich nur sub­ven­tio­nier­ter Dreck ausgestellt.

Als ich es 2013 zum ers­ten Mal mit eige­nen Augen sah, stie­gen mir Trä­nen in die Augen, wobei es mir schwer fiel, zu ent­schei­den, ob mich die Häß­lich­keit, die Dumm­heit oder die nack­te Bos­haf­tig­keit mehr erzürn­te. Das war aber letz­ten Endes egal, da die­se Din­ge flie­ßend inein­an­der über­ge­hen, und ger­ne ver­eint auf­tau­chen wie eine unhei­li­ge Dreifaltigkeit.

Der wie eine Flam­me jäh auf­glü­hen­de Haß auf das frag­li­che Objekt hat­te einen toni­schen, exal­tie­ren­den Effekt auf die Run­de. So man­ches Auge glänz­te feucht, so man­che Wan­ge röte­te sich heiß bei der freu­di­gen Vor­stel­lung, die­ses wider­wär­ti­ge Ding eines schö­nen Tages nach der meta­po­li­ti­schen Wen­de von Abriß­bir­nen, Bohr­ge­rä­ten, Spreng­stoff und Flam­men drang­sa­liert zu sehen wie den “Brain Bug” aus dem Film Star­ship Tro­o­pers, um die geschän­de­te Alt­stadt ange­mes­sen zu rächen.

Nun wärm­te uns in die­ser kal­ten Win­ter­nacht nicht nur das Feu­er im Kamin, son­dern die Glut in unse­ren Her­zen. Ja, es war genau dort, wo wir unse­ren Haß lodern fühl­ten, gera­de rich­tig und pas­send zum her­an­na­hen­den “Fest derLiebe”.

Was uns gleich zum nächs­ten Gedan­ken führ­te, dem alle ein­hel­lig zustimm­ten: Daß der Haß, mit­samt sei­nen nahen Ver­wand­ten Wut, Zorn und Ent­rüs­tung, eine völ­lig zu Unrecht ver­leum­de­te Emo­ti­onist.

Besof­fen von unse­rem woh­lig lodern­den Haß und sei­ner mor­phi­um­ar­ti­gen Wir­kung, ver­spür­ten wir kei­ne Lust auf Nuan­cen. Als geis­tig rege und dif­fe­ren­zier­te Men­schen wären wir dazu wohl imstan­de gewesen.

Wir alle ken­nen die Bin­sen­weis­hei­ten, daß Haß “häß­lich macht”, daß Haß “blind macht” (das­sel­be sagt man von der Lie­be), daß es unge­sund ist, aus sei­nem Her­zen eine Mör­der­gru­be zu machen und daß es reich­lich nie­de­ren Haß aus nie­de­ren Moti­ven gibt. “Tief ist der Haß, der in den nie­de­ren Her­zen dem Schö­nen gegen­über brennt”, heißt es in Jün­gers Mar­mor­klip­pen, und die­se Art von Haß ist es wohl auch, der in etli­chen archi­tek­to­ni­schen Schand­ta­ten gewü­tethat.

Der Haß, den wir nun fühl­ten, erleb­ten wir als vom Herr­gott gege­be­ne und gewoll­te, gesun­de, “thy­mo­ti­sche” Abwehr­re­ak­ti­on ange­sichts des Bösen, Nied­ri­gen und Gemeinen.

“Haß” gilt heu­te als Nied­rig­sta­tus­emo­ti­on. Sie ist das Kenn­zei­chen der Unge­wa­sche­nen, Unge­bil­de­ten und Unauf­ge­klär­ten, der “deplo­rables”, “Abge­häng­te”, “Wut­bür­ger”, Social-Media-Trol­le und Rechts­par­tei­en­wäh­ler, die alle­samt ein­fach so, ohne wirk­li­chen Grund, frei fluk­tu­ie­rend vor sich hin has­sen, weil sie nichts bes­se­res zu tun haben. Wer hin­ge­gen zur geho­be­ne­ren Klas­se der “Welt­of­fe­nen” gehö­ren und Anschluß an die “Eli­ten” haben will, muß so tun, als ob er kei­nen Haß ken­ne und vor dis­kri­mi­nie­rungs­frei­er Men­schen­lie­be aus allen Näh­ten platze.

2017 schrie­ben Licht­mesz & Som­mer­feld:

Alles, was über »Angst« und »Pho­bie« gesagt wur­de, gilt auch für den »Haß«. Auch hier­bei han­delt es sich um ein durch Ent­dif­fe­ren­zie­rung gewon­ne­nes Logo-Toxin, das zur poli­ti­schen Schäd­lings­be­kämp­fung ein­ge­setzt wird. »Haß« gehört in die­sem Zusam­men­hang vor allem in das Gen­re des poli­ti­schen Kitsches.(…)

Wer die Poli­tik der Lin­ken, Glo­ba­lis­ten und Mul­ti­kul­tu­ra­lis­ten kri­ti­siert, ist ein »Has­ser« und »Het­zer«, der sich in einem fins­te­ren natio­na­lis­ti­schen Kel­ler­as­sel­loch »abschot­ten« will. »Haß« ist sozu­sa­gen deren Meis­ter-Frame, mit dem sie jede Form der Abgren­zung, Unter­schei­dung und »Dis­kri­mi­nie­rung« brand­mar­ken.(…) »Haß« und »Het­ze« sind Wör­ter, die auch pho­ne­tisch schön zischen und fau­chen. Das Wort »Haß« selbst erweckt nega­ti­ve Emo­tio­nen. Wen man des »Has­ses« beschul­digt, den will man auch »häß­lich, so gräß­lich häß­lich« (frei nach dem alten Hit von DÖF) machen.

Wir leg­ten noch eins drauf, und for­mu­lier­ten eine Ehren­ret­tung des Hasses:

Sei­ne lau­fen­de Ver­leum­dung basiert nicht nur auf einer fal­schen Anthro­po­lo­gie, die ihre Ver­tre­ter zur Lüge und Heu­che­lei zwingt, sie ver­fälscht auch die Ethik und das Wesen der Lie­be. Faßt man mit dem Ver­hal­tens­for­scher Ire­nä­us Eibl-Eibes­feldt den Haß als eine Form des Aggres­si­ons­trie­bes auf, so hat er grund­sätz­lich eine posi­ti­ve, lebens­er­hal­ten­de, nütz­li­che Funktion.

Er hängt eng mit der Lie­be zusam­men. Wir alle sind berech­tigt, zu has­sen, was unser Leben, das unse­rer Fami­li­en und alle Din­ge und Men­schen, die wir lie­ben, schä­di­gen, ver­nich­ten und zer­stö­ren will. (…) Zwei­fel­los emp­fiehlt es sich, ihn im Zaum zu hal­ten, aber ihn pau­schal zu ver­dam­men, ist unsin­nig. Haß ist eine natür­li­che Reak­ti­on auf belas­ten­de, quä­len­de, bedroh­li­che Din­ge, und in den meis­ten Fäl­len ver­geht er rasch wie­der, wenn die Ursa­che besei­tigtist.

Wir zitier­ten Tho­mas vonAquin:

»Wird also nur das Böse, das Übel, geh­aßt, so folgt, daß jeder Haß Lob ver­dient.« Haß sei »das Wider­stre­ben gegen das als ver­derb­lich und schädigend Auf­ge­faß­te.« (Sum­ma theo­lo­gi­ca, Quaes­tio 29, 1. Hälf­te des 2.Teils)

Mein Rede­bei­trag zu die­sem The­ma war im Gro­ßen und Gan­zen eine Zusam­men­fas­sung die­ses Abschnitts aus unse­rem Best­sel­ler aus tur­bu­len­te­ren Zeiten.

“Haß ist mit­hin nicht selbst ‘das Böse’, son­dern er rich­tet sich auf das Böse”, fuhr ich fort. “Er kann aber böse wer­den, wenn etwa dieses Böse kein Böses ist oder wenn er das richtige Maß ver­liert. Ich jeden­falls hal­te es grund­sätz­lich mit Boyd Rice, ‘My hate is like love tome.’”

“Es ist doch ganz ein­fach”, sag­te nun die sonst eher schweig­sa­me Speng­le­ria­ne­rin, die das Gra­zer “Fri­end­ly Ali­en”, das sie von innen wie von außen aus eige­ner Anschau­ung kann­te, mit beson­de­rer Ins­brunst haß­te. “Haß auf das Häß­li­che ist Lie­be zum Schönen.”

Sie hat­te voll­kom­men recht, wes­halb ich hof­fe, daß sie nur gescherzt hat, als sie über ihre Täto­wie­rungs­ab­sich­ten sprach.

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Frei­tag, 1. Dezember

Nach zwei Jah­ren ist Gil Ofa­rims Lügen­fas­sa­de end­lich zusam­men­ge­bro­chen. Er hat gestan­den, daß er die “anti­se­mi­ti­schen” Über­grif­fe des Per­so­nals des Grand-Westin-Hotels in Leip­zig frei erfun­denhat.

Ange­sichts sei­ner von Anfang gerin­gen Glaub­wür­dig­keit wun­dert es mich ein wenig, daß er über­haupt so lan­ge durch­ge­hal­ten hat. Oder daß er ernst­haft dach­te, daß er damit auf Dau­er durch­kom­men wird. Das hat wohl mit sei­ner offen­sicht­lich nar­ziß­ti­schen Cha­rak­ter­dis­po­si­ti­on zu tun, die in sei­ner Berufs­spar­te weit ver­brei­tetist.

Ich selbst habe ihm das thea­tra­li­sche Geheu­le kei­ne Sekun­de abge­kauft. Es war mir von Anfang an klar, daß wir es hier mit einem “Fall” von Opfer­rol­len­spiel zu tun haben, das ich Ende Okto­ber 2021 in einem Arti­kel ana­ly­siert habe. Ofa­rims Ein­trag auf Insta­gram vom 5. Okto­ber (inzwi­schen gelöscht) war gro­ßes Melodrama:

… ANTISEMITISMUS in Deutsch­land2021!..
… ges­tern in Leipzig…
… war­um?.. haben wir denn nichts nichts aus der ver­gan­gen­heit gelernt?..bin sprach­los!.. es ist nicht das ers­te mal, aber irgend­wann reicht es…

Nicht nur das Hotel­per­so­nal saß auf der Ankla­ge­bank, son­dern GANZ DEUTSCHLAND, die “Mit­te der Gesell­schaft”!

Man darf die­sen Vor­fall nicht iso­liert betrach­ten. Ofa­rim hat die Trumpf­kar­te der herr­schen­den Opfer­hier­ar­chien aus­ge­spielt, den “Anti­se­mi­tis­mus”. Die­ser ist so etwas wie die Ur-Blau­pau­se aller ande­ren gän­gi­gen ‑pho­bien und ‑ismen, inso­fern er auf einem ange­nom­me­nen abso­lu­ten Opfer­sta­tus per Zuge­hö­rig­keit zu einem Kol­lek­tiv beruht, der Unan­tast­bar­keit garan­tie­ren und Pri­vi­le­gi­en ermög­li­chensoll.

Mit dem “Antisemitismus”-Vorwurf kann man auch noch semi-gerot­pill­te “Kon­ser­va­ti­ve” täu­schen, die zwar durch­schaut haben, was für einen poli­ti­schen Zweck Schlag­wor­te wie “Ras­sis­mus, hom*o­pho­bie, Sexis­mus” haben, sich jedoch ängst­lich vor der Erkennt­nis ver­schlie­ßen, daß “Anti­se­mi­tis­mus” in ein- und das­sel­be Gen­re gehört. Die­se Furcht ist vor allem bei der “Boomer”-Generation ein­ge­fleischt und hat wohl vor­ran­gig mit gewis­sen his­to­risch beding­ten Kon­di­tio­nie­run­gen zutun.

Einer, der damals auf Ofa­rim rein­ge­fal­len ist, war Alex­an­der Wal­l­asch in einem Gast­bei­trag für Boris Reit­schus­ter. Er schrieb damals:

Der Musi­ker Gil Ofa­rim sagt, er sei in einem Hotel in Leip­zig ver­bal anti­se­mi­tisch ange­grif­fen wor­den. Und er sagt es offen und geht damit an die Medi­en – gut so! Wer Ofa­rim hier reflex­ar­tig Wer­bung in eige­ner Sache unter­stellt, des­sen Geschichts­be­wusst­sein ist eben­so nur rudi­men­tär, wie hier jed­we­de Empa­thie beer­digt wur­de: Ja, Jude sein in Deutsch­land ist für Nicht­ju­den schwer vor­stell­bar, aber es gibt genug Berich­te, die sehr anschau­lich machen, was das noch heu­te bedeu­tenkann.

Ich kom­men­tier­te diesso:

Na ja: Vor allem bedeu­tet es, daß man als eine Art höhe­res Lebe­we­sen wahr­ge­nom­men wird, des­sen Kla­gen, Mei­nun­gen und Wün­sche ganz beson­de­re Auf­merk­sam­keit und Hoch­ach­tung ver­dient haben. Da ist es dann auch schon völ­lig wurscht, ob Ofa­rim gelo­gen, Ein­zel­per­so­nen und ein gan­zes Land ver­leum­det oder ein Thea­ter in eige­ner Sache insze­niert hat – von wegen “Geschichts­be­wußt­sein”, “Empa­thie” usw. muß er mit ande­ren Maß­stä­ben gemes­sen wer­den als nor­mal­sterb­li­che Menschen.

Ofa­rims Pas­si­ons­ge­schich­te mach­te aus dem ein­zi­gen Grund Schlag­zei­len, weil er in Deutsch­land als Ange­hö­ri­ger der Alpha-Opfer­grup­pe sicher sein kann, maxi­ma­le Auf­merk­sam­keits­re­fle­xe zu trig­gern. Da er kein Polit-Akti­vist ist und berufs­mä­ßig im Ram­pen­licht steht, kann man hier getrost von eher bana­len Moti­ven ausgehen.

Ofa­rim muß nun 10,000 Euro Buß­geld zah­len – nicht an die Nicht­ju­den, die er vor­sätz­lich ver­leum­det hat, son­dern an die Israe­li­ti­sche Reli­gi­ons­ge­mein­de zu Leip­zig und den Trä­ger­ver­ein des Hau­ses der Wann­see­kon­fe­renz. Damit wur­de das Signal gesetzt, daß er mit sei­nen Lügen vor allem der Sache der Juden gescha­det hat und dafür bestraft wer­denmuß.

In die­sem Sin­ne äußer­te sich auch der Zen­tral­rat derJuden:

Zwei Jah­re lang hat #GilO­fa­rim Mit­ar­bei­ter eines Leip­zi­ger Hotels des Anti­se­mi­tis­mus beschul­digt. Nun hat er gestan­den, dass er gelo­gen hat. Damit hat Gil Ofa­rim all denen, die tat­säch­lich von Anti­se­mi­tis­mus betrof­fen sind, gro­ßen Scha­den zuge­fügt. Neben der Öffent­lich­keit hat er auch die jüdi­sche Gemein­schaft belo­gen. Wir haben in unse­rer Gesell­schaft ein Anti­se­mi­tis­mus-Pro­blem, vie­le sind gera­de in der jet­zi­gen auf­ge­heiz­ten gesell­schaft­li­chen Situa­ti­on ver­un­si­chert und erle­ben Juden­hass und Ablehnung.

Auch hier: Kein Wort des Bedau­erns über den Scha­den, der den Nicht­ju­den, den Mit­ar­bei­tern des Hotels zuge­fügt wur­de. Auch dies eine Opfer­hier­ar­chie, auch dies eine Art von nar­ziß­ti­scher Selbstbezogenheit.

Ich bestrei­te natür­lich auch das Mär­chen, “wir” hät­ten “in unse­rer Gesell­schaft ein Anti­se­mi­tis­mus-Pro­blem”. Wenn über­haupt, dann hat “unse­re Gesell­schaft” ein Pro­blem mit dem “impor­tier­ten” Anti­se­mi­tis­mus nah­öst­li­cher Ein­wan­de­rer, der pri­mär von der Gewalt­po­li­tik Isra­els und der USA im Nahen Osten ver­ur­sacht wird (und nicht von Koran-Lek­tü­re, wie man­che “Islam­kri­ti­ker” behaup­ten). Die­sen Import zu för­dern und sei­ne Fol­gen (auch und vor allem für Nicht­ju­den) zu beschwich­ti­gen, hat der ZdJ kräf­tig bei­getra­gen. Er beschwert sich hier also über Pro­ble­me, die er sel­ber mit­ver­ant­wor­tethat.

Nicht unpas­send zu den Nach­rich­ten über Ofa­rim hat mich Frau Ronai Cha­ker-Sichert, ihrer­seits eine recht unge­nier­te Spie­le­rin inter­sek­tio­na­ler Opfer­kar­ten, (mal wie­der) auf Twit­ter verleumdet:

Licht­mesz ist für mich im übri­gen ein lupen­rei­ner Anti­se­mit, denn er hat sich in einer Dis­kus­si­on mit mir, vor Jah­ren schon hin­ter die Hamas gestellt und deren Vor­ge­hen befürwortet.

Das ist natür­lich eine lupen­rei­ne Lüge ohne jeg­li­chen Beweis (Ofa­rim läßt grü­ßen). Viel­leicht auch eine, die sie sel­ber glaubt, denn in frü­he­ren Twit­ter-Inter­ak­tio­nen mit ihr habe ich die Erfah­rung gemacht, daß sie äußerst talen­tiert ist, ein Argu­ment bös­wil­lig miß­zu­ver­ste­hen oder zu ver­dre­hen. Außer­halb von Schwarz-Weiß-Kate­go­rien zu den­ken, scheint ihr nicht mög­lich zusein.

Über “Schnell­ro­da” (oder bes­ser gesagt: was sie dafür hält und aus­gibt bzw. in eige­ner Sache aus­ge­ben muß), schrieb sie, eben­falls ver­leum­de­risch und kraß verzerrend:

Der Kon­flikt zwi­schen Schnell­ro­da herrscht schon lan­ge. Ihnen geht es um Bio­lo­gie, Haut­far­ben, eth­ni­sche Rein­heit, Kol­lek­ti­vis­mus, Aus­gren­zung und Ent­rech­tung von nicht Auto­chtho­nen. Was für mich zählt, ist: Die Frei­heit vor tota­li­tä­ren Ideologien!

Hier­zu ver­link­te sie einen Bei­trag, den sie im Juni 2019 auf fischundfleisch.com ver­öf­fent­licht hat, zum The­ma “Licht­mesz wie auch Kubit­schek”. Dar­in hat sie einen Text von mir aus dem Jahr 2010 (!) sinn­ent­stel­lend zitiert, wor­auf ich sie in den Kom­men­tar­spal­ten auf­merk­sam gemacht habe, natür­lich ohne irgend­ei­ne Wir­kung zu erzielen.

Die­ses “Sam­ple” soll­te aus­rei­chen, um zu demons­trie­ren, mit wel­chen Mit­tel Cha­ker vor­zu­ge­hen pflegt. Es ist cha­rak­te­ris­tisch, daß sie auf mei­nen letz­ten Tage­buch­ein­trag, in dem ich die Cho­se Utlu bespro­chen und ihr Ver­hal­ten inner­halb der AfD kri­ti­siert habe, erneut nur mit Lügen, Denun­zia­tio­nen und maxi­ma­len Anschwär­zun­gen reagie­ren kann. Und dies, obwohl ich und ande­re ver­sucht haben, ihr gegen­über gerecht zu blei­ben, dies, obwohl es von “Schnell­ro­da” aus Ange­bo­te zu klä­ren­den Gesprä­chengab.

Es gibt Men­schen, denen Wahr­heit, Red­lich­keit und Fair Play völ­lig egal sind. Lei­der kom­men sie häu­fig damit durch, wäh­rend Bauch­lan­dun­gen à la Gil Ofa­rim eher die Aus­nah­mesind.

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Mon­tag, 27. Novem­ber2023

Nun habe ich also auch eine Tage­buch-Kolum­ne. Der Titel ist einem Vers aus der Apos­tel­ge­schich­te ent­nom­men, der mir viel bedeu­tet. Ich habe ihn mei­nem Buch Kann nur ein Gott uns ret­ten? vorangestellt.

Ursprüng­lich auf ihn gesto­ßen bin ich nicht im Zuge einer Bibel­lek­tü­re, son­dern in einer Epi­so­de des acht­tei­li­gen Video-Essays Histoire(s) du ciné­ma von Jean-Luc Godard: “Ne te fais pas de mal, car nous som­mes tous enco­reici.”

Die Ton­spur ver­bin­det den Vers mit der berühm­ten Pas­sa­ge von Mar­tin Heid­eg­ger über den “Fehl Got­tes” aus den Holz­we­gen, gele­sen in fran­zö­si­scher Über­set­zung von der Schau­spie­le­rin Maria Casarès.

Godard hat ihn frei­lich, eben­so wie ich, ein wenig aus dem Kon­text gerissen.

In der Apos­tel­ge­schich­te wer­den Pau­lus und sein Beglei­ter Silas in Phil­ip­pi gefan­gen­ge­nom­men, nach­dem bei­na­he ein wüten­der Mob über sie her­ge­fal­len wäre. Dann ereig­net sich fol­gen­de merk­wür­di­ge Geschichte:

Gegen Mit­ter­nacht bete­ten Pau­lus und Silas; sie prie­sen Gott mit Lob­lie­dern, und die Mit­ge­fan­ge­nen hör­ten ihnen zu. Plötz­lich beb­te die Erde so hef­tig, daß das Gebäu­de bis in sei­ne Grund­mau­ern erschüt­tert wur­de. Im sel­ben Augen­blick spran­gen sämt­li­che Türen auf, und die Ket­ten aller Gefan­ge­nen fie­len zu Boden. Der Auf­se­her fuhr aus dem Schlaf hoch, und als er die Türen des Gefäng­nis­ses offen ste­hen sah, zog er sein Schwert und woll­te sich töten, denn er dach­te, die Gefan­ge­nen sei­en geflo­hen. Doch Pau­lus rief, so laut er konn­te: »Tu dir nichts an! Wir sind alle nochhier!«

Die meis­ten älte­ren Über­set­zun­gen las­sen das “noch” aus; ich den­ke, es drängt sich unwei­ger­lich auf und zwi­schen die Wor­te hinein.

Pau­lus ver­hin­dert hier einen Selbst­mord. Zwei Selbst­mör­der aus “spi­ri­tu­el­len Grün­den” spie­len in mei­nem Buch eine gro­ße Rol­le: Domi­ni­que Ven­ner und ein fik­ti­ver jun­ger Mann aus dem Film Le dia­ble pro­ba­blem­ent von Robert Bres­son. Ein drit­ter Prot­ago­nist mei­nes Buches, Leo Tol­stoi, war nahe dar­an, sich den Kopf mit einer Jagd­flin­te weg­zu­schie­ßen, ehe er sei­ne Ret­tung im Glau­benfand.

Die­ses Zitat hat für mich also ein “mys­ti­sches” Echo. Es legt eine Spur zum Ret­ten­den, oder wenigs­tens zum bloß Tröst­li­chen, den Daseins­schmerz Mil­dern­den, erträg­lich Machen­den. Es kann auf jedes Ding und jedes Lebe­we­sen (ich den­ke auch an Tie­re, Pflan­zen, Bäu­me) auf der Welt ver­wei­sen, das “noch hier” ist und eine Bedeu­tung für uns hat, auch wenn wir wis­sen, daß es eines Tages nicht mehr “hier” sein wird (wie wir selbst auch).

Das gilt eben­so für Men­schen wie auch für Schöp­fun­gen, die die kurz bemes­se­ne mensch­li­che Lebens­zeit über­dau­ern und ihren Schöp­fern eine Art der Unsterb­lich­keit ver­lei­hen sol­len: Auch die Pyra­mi­den von Gizeh, die Kathe­dra­le von Char­tres, die Dich­tun­gen von Dan­te und Shake­speare, die Kom­po­si­tio­nen von Bach und Mozart wer­den eines Tages ver­schwun­den sein. Die Kunst ist sterb­lich und die Küns­te sind sterb­lich, befand Oswald Spengler.

Irgend­et­was, irgend­je­mand ver­schwin­det immer, aber es ist auch immer irgend­et­was, irgend­je­mand “noch” hier. Ich bin noch hier, du bist noch hier, und solan­ge wir hier sind, ist esgut.

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Jubel und Scha­den­freu­de herrscht in der AfD-feind­li­chen Pres­se. Hier ein paar aus dem Netz gefisch­te Schlagzeilen:

Ein Ali will in AfD ein­tre­ten – Rech­te ticken prompt aus: „Gehört abge­scho­ben“ (Der Wes­ten)… Ein Mann namens Ali tritt der AfD bei – Par­tei zer­fällt in zwei Lager (Focus)… Quee­rer Deutsch-Tür­ke will in die AfD (Stutt­gar­ter Nachrichten)…

Ein Autor der Welt zeigt sich ein biß­chen schlau­er und spricht gar von einer “all­mäh­li­chen Isla­mi­sie­rung derAfD”:

Tei­le der AfD haben Mus­li­me und Erdo­ga­nis­ten als Wäh­ler ent­deckt. Nun mutie­ren sie zu deutsch­na­tio­na­len „Islam­kusch­lern“, wie kri­ti­sche Par­tei­freun­de kla­gen – und haben Skru­pel, den Islam­kri­ti­ker Ali Utlu aufzunehmen.

Mehr als die­sen “Teaser” habe ich nicht gele­sen, da ich kei­ne Lust habe, die Bezahl­schran­ke zu über­que­ren. Eine auf­rich­ti­ge oder gar “kon­struk­ti­ve” Aus­ein­an­der­set­zung ist ohne­hin in Pos­ch­ardts Tor­wäch­ter-Blatt nicht zu erwarten.

Die Fra­ge, ob “Erdo­gan nicht unser Feind” ist (Maxi­mil­li­an Krah) oder ob das “Feind­bild Islam” eine “Sack­gas­se” ist (Fre­de­ric Höfer) las­se ich an die­ser Stel­le außen vor. Ich wer­de die­ses Faß dem­nächst auf­ma­chen, und einen kri­ti­schen Rück­blick auf die soge­nann­te “Islam­kri­tik” schrei­ben, der schon lan­ge in mirgärt.

Unsinn ist natür­lich, daß Rech­te jetzt “aus­flip­pen”, nur weil einer “Ali” heißt. Utlu ist bei­lei­be nicht der ers­te Mensch mit “Mihi­gru” und ver­gleichs­wei­se “exo­ti­schem” Namen, der in der AfD mit­mischt, und ganz gewiß nicht der ers­te Schwu­le. Es wird hier ein­fach ver­sucht, das Kli­schee­bild vom Rech­ten als xeno­pho­ben Hys­te­ri­ker im Umlauf zu bringen.

Die Pro­ble­me mit Utlu sind viel grund­sätz­li­che­rer Natur. Ich habe sein Trei­ben auf Twit­ter (den bescheu­er­ten Namens­wech­sel “X” igno­rie­re ich) frü­her ver­folgt, beson­ders in der Zeit von 2017–18, in der er mir inso­fern inter­es­sant erschien, als er eine von vie­len “Kipp­fi­gu­ren” war, die Indi­ka­to­ren für einen Wan­del des Zeit­geis­tes zu sein schienen.

Alle Welt ist in die­sen Jah­ren “nach rechts gerückt”, sogar etli­che “Que­e­re” und “Trans­se­xu­el­le”, die die Nase voll hat­ten von “Sprech­ver­bo­ten” und woker Inqui­si­ti­on. Das war natür­lich auch für unse­re Sache hilf­reich: Pro­ble­me, die lager­über­grei­fend kon­sta­tiert wer­den, bekom­men grö­ße­res objek­ti­ves Gewicht.

Utlu hat jedoch nie­mals irgend­et­was pro­du­ziert, was einen ana­ly­ti­schen Wert hat oder in irgend einer Wei­se dazu bei­tra­gen könn­te, posi­ti­ve Ver­än­de­run­gen anzu­stos­sen. Statt­des­sen hat er sich stän­dig von der AfD “distan­ziert”, das Stück vom “Mann in der libe­ra­len Mit­te”, den “Rech­te und Lin­ke glei­cher­ma­ßen has­sen” gespielt und dabei halb Twit­ter geblockt.

Man begreift rasch, daß man es mit einer ego­zen­tri­schen Per­son zu tun hat, die süch­tig nach Auf­merk­sam­keit, Pro­fi­lie­rung und Pro­vo­ka­ti­on ist, und irgend­wann gemerkt hat, daß es viel mehr Spaß macht, die (eige­ne) lin­ke als die rech­te Kli­en­tel zu ärgern. Sein The­ma war immer nur er selbst, als “Schwu­ler”, “Tür­ke”, “Ex-Mus­lim” und “Ich als schwu­ler Ex-Mus­lim”. Sei­ne Selbst­ge­fäl­lig­keit zeigt sich deut­lich in einem ange­hef­te­ten Tweet aus sei­nerSeite:

Wer hät­te jemals gedacht, dass aus­ge­rech­net ein schwu­ler Tür­ke der größ­te Alp­traum und das Hass­ob­jekt von anti­ras­sis­ti­schen und que­er­freund­li­chen Lin­ken seinwürde.

Hier binich.

Sei­ne Ankün­di­gung, der AfD bei­zu­tre­ten (das wäre nun sein fünf­ter oder sechs­ter Par­tei­wech­sel, wenn ich das recht ver­stan­den habe) ist nur ein wei­te­rer Stunt in der end­lo­sen Ali-Utli-Per­sön­lich­keits-Show. Bezeich­nend ist auch die­se Reak­ti­on auf eine nega­ti­ve Rückmeldung:

Und genau des­we­gen bin ich rich­tig in die­ser Par­tei. Um die­je­ni­gen zu trig­gern, die mit die­ser Ein­stel­lung dafür sor­gen, dass wei­te Tei­le der Bevöl­ke­rung die Par­tei für unwähl­bar hal­ten. Gewöh­ne dich dar­an, das A in AfD steht auch fürAli.

Was Bes­se­res als Gegen­wind von rechts konn­te ihm kaum pas­sie­ren, um sich nun wie­der selbst in den Mit­tel­punkt zu stel­len und zum The­ma zu machen. Als “Top 5 Grün­de, war­um man mich nicht der AfD haben will”, nann­teer:

1. Islam­kri­tik 2. hom*o­se­xu­ell 3. Tür­ki­sches und nicht deut­sches Blut 4. Nicht rechts(extrem) genug 5. Ich existiere

Quo vadisAfD?

Momen­tan sieht es danach aus, als ob er gleich die Pha­se der Par­tei­mit­glied­schaft über­sprin­gen und direkt zur Rol­le als “Aus­stei­ger” und Feind­zeu­ge über­ge­henwill:

Ja, ihr könnt nun wochen­lang über mich lachen, das inter­es­siert mich nicht, aber ihr soll­tet aner­ken­nen, dass ich mit mei­ner Akti­on gro­ße Tei­le demas­kiert habe. Das Man­tra, die AfD sei im gro­ßen & gan­zen freund­lich zu Migran­ten, ist nicht halt­bar. Das Glei­che gilt für mei­ne hom*o­se­xua­li­tät, die immer wie­der The­ma ist. (…) Ich wer­de hun­der­te Screen­shots sam­meln und die­se auf einer Web­site ver­öf­fent­li­chen, damit sich kei­ner mehr her­aus­re­den kann. Was in 2 Wochen zusam­men­kam, glaubt sonst kei­ner, vor allem die von gro­ßen Accounts, bevor wie­der behaup­tet wird, es wären nur Trol­le, die der AfD scha­den wol­len. Ich weiß, dass es vie­le Mit­glie­der gibt, die weder hom*o­phob noch ras­sis­tisch sind. Wer­det laut, auf Par­tei­ta­gen und Par­tei­tref­fen, schreibt unter sol­che Kom­men­ta­re eure Mei­nung dazu. Über­lasst die­sen Men­schen nicht eure Par­tei. Und nein, ich spie­le hier kei­ne Opfer­rol­le, ich zei­ge nur den Hass auf. Es ist nichts, was ich nicht schon durch ande­re Grup­pen seit Jah­ren abbekomme.

Sekun­diert wur­de Utlu von der “Deutsch-Jesi­din” (oder nun “Ezi­din”) Ronai Cha­ker, die cha­rak­ter­lich ähn­lich gela­gert ist. Auch ihr Pro­gramm für die Öffent­lich­keit ist in ers­ter Linie sie selbst und ihre eth­ni­sche Iden­ti­tät. Ihre Lieb­lings­rol­le ist die der von gerech­tem Zorn erfüll­ten, uner­schro­cke­nen Kämp­fe­rin mit dem hei­ßen Her­zen, die von Isla­mis­ten und “Extre­mis­ten” geh­aßt wird und sich nie­mals unter­krie­genläßt.

Trotz ihrer häu­fi­gen, eher tak­tisch anmu­ten­den Beteue­run­gen, daß sie eben­so “deutsch” sei wie alle ande­ren Hän­se und Gre­tels, schlägt ihr Herz offen­sicht­lich vor­ran­gig für ihren eige­nen Stamm, für den sie als eine Art Lob­by­is­tin tätig ist. Auch ihren Ehe­mann Mar­tin Sichert hat sie für die­se pri­mä­re Auf­ga­be mobi­li­siert, die er eben­so artig wie emsig erfüllt, wofür er dann auch von sei­ner Frau öffent­lich mit Herz­chen-Pos­tings belohnt wird (immer­hin hat sie mit einer wich­ti­gen Tra­di­ti­on ihres Vol­kes gebro­chen, dem Gebot der Endo­ga­mie).

Sie behaup­tet, ihr Enga­ge­ment für Ezi­den die­ne auch “deut­schen Inter­es­sen”,weil:

1. Sie sind wirk­lich ver­folgt! 2. Sie arbei­ten mehr­heit­lich und zah­len ihre Steu­ern. Selbst ihre Arbeit­ge­ber set­zen sichein.

Das ist ziem­lich mager. Grund eins hat nichts mit “deut­schen Inter­es­sen” zu tun, und bei Grund zwei müß­te man bissl tie­fer boh­ren, ob migran­ti­sche Steu­er­zah­ler an und für sich schon “deut­schen Inter­es­sen” dienen.

Man kann ihr aus rech­ter Sicht schlecht vor­wer­fen, sich für die Inter­es­sen ihrer eige­nen Volks­grup­pe ein­zu­set­zen. Ich den­ke, daß dies auch im Rah­men der AfD prin­zi­pi­ell mög­lich und legi­tim wäre. Es wird kon­tra­pro­duk­tiv, wenn dar­über die Prio­ri­tä­ten die­ser Par­tei ver­ges­sen werden.

Und es wird destruk­tiv, wenn man wie Cha­ker unun­ter­bro­chen Leu­te im eige­nen Spek­trum als “völ­ki­sche Ras­sis­ten” beschimpft, wenn die­se sie dar­an erin­nern, daß die AfD vor­ran­gig dem deut­schen Volk die­nen sol­len (auf­ge­faßt als eth­no­kul­tu­rel­le Abstam­mungs­ge­mein­schaft, und kein Sam­mel­su­ri­um von Paßinhabern.)

Ich pflich­te Mar­vin Neu­mann bei:

Man kann und muss als deut­sche Rechts­par­tei in der Gegen­wart frei­lich die eth­no­par­ti­ku­la­ren Inter­es­sen ver­schie­de­ner Völ­ker berück­sich­ti­gen und kann sich (stra­te­gisch) auch in einem bestimm­ten Rah­men für die­se ein­set­zen. Nicht aber, wenn dies mit anti­deut­schen Nar­ra­ti­ven gerahmt wird, die eine gleich­wer­ti­ge Poli­tik im (eth­no­kul­tu­rel­len) Inter­es­se der Deut­schen delegitimiert.

Frau Cha­kers Ein­satz für ihr Volk ist ehr­wür­dig. Dass sie dies aber aus­ge­rech­net in der letz­ten deut­schen Rechts­par­tei von Hoff­nung betrei­ben und den Deut­schen dabei mit den typi­schen Angrif­fen (Ras­sis­mus­keu­le, eth­nisch-deut­sche Inter­es­sen sei­en unmo­ra­lisch und aus­gren­zend etc.) das­sel­be ver­weh­ren möch­te, ist nicht akzep­ta­bel. Daher der Gegenwind.

Das ist eine fai­re Hal­tung, die die Bereit­schaft zeigt, auch den Inter­es­sen von Men­schen wie Cha­ker entgegenzukommen.

Cha­kers Pro­blem ist wie bei Utlu vor allem cha­rak­ter­li­cher Natur: Sie wirft stän­dig mit blind­wü­ti­gen Anfein­dun­gen um sich, ist nicht imstan­de, auch kon­struk­ti­ve Gesprächs­an­ge­bo­te anzu­neh­men, und “fischt” aktiv nach Wut­pos­tings, um sich anschlie­ßend als unschul­di­ges Opfer von Anfein­dun­gen zu prä­sen­tie­ren, denen sie dann “mutig” trotzt wie eine ori­en­ta­li­sche Jean­ne d’Arc. Sie kommt dabei nie aus dem pole­mi­schen Modus her­aus, der alle Din­ge schwarz-weiß malt (weiß sich selbst, schwarz die ande­ren), und ent­spre­chen­den Zorn zieht sie auch auf sich (was wie­der­um ihre Müh­len wässert).

Gewiß ist hier auch eine tie­fe­re Pro­ble­ma­tik im Spiel, die über per­sön­li­che Cha­rak­ter­schwä­chen hinausgeht.

Cha­kers Ide­al ist ein Poli­ti­ker wie Geert Wil­ders:

Jüdi­sche Frau, Mut­ter aus Indo­ne­si­en, bes­te Freun­din Ex Mus­li­ma Ayan Hir­si, die Opfer von Zwangs­be­schnei­dung wur­de. Ein Mann der für Frei­heit, Wer­te, Kul­tur und gegen Faschis­mus steht. Davon kön­nen sich vie­le angeb­li­chen “Patrio­ten” in Deutsch­land eine Schei­be abschneiden.

Es ist eben so: Men­schen, die selbst eine hybri­de eth­no­kul­tu­rel­le Iden­ti­tät haben, füh­len sich in der Regel woh­ler in einer Gesell­schaft, die eben­falls eth­no­kul­tu­rell mög­lichst hybri­de ist. Das ist psy­cho­lo­gisch und mensch­lich nach­voll­zieh­bar, eben­so, daß sie sich auch Poli­ti­ker wün­schen, die die­ses Hybri­de (also sie selbst) reprä­sen­tie­ren. Aber was ist mit den Inter­es­sen jener, deren Iden­ti­tät weni­ger “divers” zusam­men­ge­setztist?

Ende 2020 habe ich mich mit die­ser Fra­ge in einem zwei­tei­li­gen Bei­trag aus­ein­an­der­ge­setzt: “Soll die AfD eine mul­ti­eth­ni­sche Par­tei wer­den?” (eins, zwei). Ich habe lei­der auch kei­ne ein­fa­che Ant­wortdrauf.

Aber ich den­ke nicht, daß man sich an die­sen Punk­ten vor­bei­schum­meln kann, ohne Wesent­li­ches preiszugeben:

Es spricht nichts dage­gen, wenn die AfD unter bestimm­ten Migran­ten­grup­pen Ver­bün­de­te und Sym­pa­thi­san­ten sucht. Dabei soll­te es aber weder um die blo­ße “Optik” gehen, um Ras­sis­mus­vor­wür­fe abzu­schmet­tern, was erfah­rungs­ge­mäß ein aus­sichts­lo­ses Unter­fan­gen ist, noch soll­te ver­sucht wer­den, aus der AfD eine wei­te­re Mul­ti­kul­ti- oder Viel­völ­ker­par­tei zu machen, die den Bevöl­ke­rungs­aus­tausch als unver­meid­lich hin­nimmt und ihn ledig­lich ver­lang­sa­men und ein wenig erträg­li­cher regu­lie­ren will. Das lie­fe auf nichts ande­res hin­aus, als Yascha Mounk aktiv dabei zu unter­stüt­zen, daß sein berüch­tig­tes “Expe­ri­ment” doch noch funk­tio­nie­renkann.(…)

… es soll­te klar blei­ben, daß die AfD vor­ran­gig dazu da ist, den Inter­es­sen einer bestimm­ten eth­ni­schen Grup­pe, näm­lich den Deut­schen eine Stim­me zu geben. (…) Und ich mei­ne hier natür­lich jene Deut­sche, die Deut­sche sein und blei­ben wol­len. Also jene, die sich nicht natio­nal­ma­so­chis­tisch-pseu­do­welt­bür­ger­lich auf­lö­sen, die noch Volk statt Bevöl­ke­rung sein wol­len, und die mutig genug sind, per­sön­lich dafür ein­zu­ste­hen oder die­se Hal­tung zumin­dest durch AfD-Wahl zu bekräftigen.

Wenn die AfD eine wirk­li­che Alter­na­ti­ve sein und ernst­haft das Natio­nal­staats­mo­dell ver­tei­di­gen will, dann muß sie hier ein­ha­ken und die Fra­ge nach dem Volk stel­len und den eth­ni­schen Volks­be­griff ver­tei­di­gen, der von der herr­schen­den poli­ti­schen Klas­se ver­femt wird, um das eth­nisch deut­sche Volk selbst abzuschaffen.

Wir sind alle noch hier. Tagebuch – Mittwoch, 26. Juni - Sezession im Netz (2024)
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Author: Msgr. Benton Quitzon

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